Der Kanute Saeid Fazloulaaus dem Flüchtlingsteam während eines Rennens bei den Olympischen Spiele 2021 in Tokio. © dpa picture alliance/Zuma Wire Foto: Daniel Lea

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Flüchtling Saeid Fazloula: Olympia-Teilnahme mit Hindernissen

von Peter Wozny

Der Kanute Saeid Fazloula aus dem Iran ist Mitglied des Flüchtlingsteams. Auf dem langen Weg nach Tokio musste er viel improvisieren - und Rückschläge hinnehmen.

Es sind die letzten Stunden vor dem Start, den er so lange herbeigesehnt hat. "Nervös bin ich nicht. Aber ich denke an all die Leute, die mir geholfen haben und möchte für diese Menschen bis an meine Grenzen gehen", textet Fazloula über WhatsApp aus seinem Zimmer im olympischen Dorf. Der Kanusportler, der bei den Rheinbrüdern Karlsruhe trainiert, startet im Kajak über 1.000 Meter für das olympische Flüchtlingsteam.

WhatsApp ist der einfachste Weg, um den Iraner nach seiner Stimmung zu fragen. Offizielle Interview-Anfragen leitet er an das Internationale Olympische Komitee (IOC) weiter, wie es ihm von den Funktionären aufgetragen wurde. Danach hört er in der Regel nichts mehr von der Anfrage. Dabei hätte der 28-Jährige viel zu erzählen. "Ich könnte Bücher schreiben über meine Erlebnisse in den letzten vier Wochen", sagt Fazloula. 

"Von 25 Tagen zwölf verloren" 

Mittlerweile wirkt er gelöst, schreibt von der guten Stimmung im olympischen Dorf - allen Corona-Einschränkungen zum Trotz. Vor einigen Tagen klang Fazloula noch weniger optimistisch. Sein Weg bisher war voller Hindernisse und Unwägbarkeiten - geprägt davon, dass ihm als Flüchtling die Unterstützung eines nationalen Fachverbandes fehlt. "Ich konnte mich seit meiner Abreise aus Deutschland nicht mehr optimal vorbereiten. Von 25 Tagen habe ich zwölf Tage verloren."

Seine olympische Reise beginnt bereits mit einem Fehlstart: Anfang Juli reist er nach Doha/Katar. Dort treffen sich zum ersten Mal alle 29 Athleten des Flüchtlingsteams gemeinsam. Sie sollen sich kennenlernen, ein Team werden und dann zusammen weiter nach Tokio fliegen. Doch ein positiver Corona-Test im Betreuerstab verhindert die Weiterreise. Das Flüchtlingsteam sitzt in Doha fest. 

 Zusammengeflicktes Boot

Während die Kampfsportler, Schwimmer und Leichtathleten in Katar ihr Training weiter durchziehen können, sitzt Fazloula buchstäblich auf dem Trockenen. "Ich hatte kein Boot in Doha, konnte nur laufen gehen und Krafttraining machen. Ein Kamerateam hat mir dann ein Boot organisiert. Dieses Boot war aber etwas zu klein. Außerdem war es sehr alt und wurde ewig nicht benutzt. Wir mussten es erst mit Epoxidharz zusammenflicken.

Doch weit paddeln kann Fazloula trotzdem nicht - es fehlt eine geeignete Trainingsstrecke: "Ich bin dann auf einen kleinen See in einem Park gegangen. Der war nur 100 oder 150 Meter lang. Aber als Rennsportler muss ich täglich zehn bis 14 Kilometer paddeln. Das war unmöglich. Außerdem hatten wir 40 bis 50 Grad Außentemperatur ohne einen Luftzug."

In diesen Tagen wachsen die Zweifel von Fazloula, in Tokio wirklich sein Bestes geben zu können. Denn für die letzten Wochen vor dem Wettkampf sind seine Trainingseinheiten minutiös geplant. "Das ist die goldene Zeit, wo wirklich alles stimmen muss."

IOC hält sich zurück 

Von Harmonie ist auch an Land wenig zu spüren. Die Stimmung im Flüchtlingsteam ist von Unsicherheit geprägt. Wie geht es weiter? Wann darf das Team nach Japan einreisen? Mit Informationen hält sich das IOC auch nach außen zurück, will nicht bekannt geben, wer sich mit dem Coronavirus infiziert hat. Offenbar halten die Funktionäre auch die Sportler an, nicht darüber zu sprechen. Auch Fazloula weicht Anfragen aus, obwohl man ihm anmerkt, dass er lieber offen sprechen möchte. Dass es ausgerechnet Chef de Mission Tegla Loroupe erwischt hat, finden schließlich Journalisten heraus. 

Training als geheime Mission 

Fazloula darf als einer der ersten aus dem Team nach Tokio weiterreisen. Der Bann scheint gebrochen. Er darf auf einer Regattastrecke trainieren, ganz so wie die Kanuten anderer Teams. "Jetzt war ich wieder motiviert und wollte aufholen, was ich in Doha verpasst hatte", erinnert er sich. Doch schon am dritten Tag darf der Iraner das Gelände nicht mehr betreten, angeblich wegen steigender Corona-Inzidenzen. Wieder müssen Fazloula und sein Trainer improvisieren. Ein Fluss in der Nähe des olympischen Dorfes wird sein neues Trainingsrevier - ein langer Fußmarsch mit dem Boot auf der Schulter inbegriffen.

Um die zahlreichen Olympia-Gegner in Tokio nicht zu provozieren, verzichtet er auf alles, was ihn als Olympioniken zu erkennen gibt. Kein Trikot, kein Aufkleber auf dem Boot - Training als geheime Mission. Auch die Strecke ist wenig olympisch: Es sind keine Bahnen abgesteckt, es gibt keine Orientierungspunkte für Entfernungen. Und der Fluss hat eine Strömung. "Stromabwärts brauche ich 3:50 Minuten für 1.000 Meter, gegen den Strom sind es 5:20 Minuten", sagt Fazloula. Lange Zeit kann er nicht im richtigen Boot trainieren. Wegen logistischer Probleme ist sein Olympia-Boot erst wenige Tage vor dem Wettkampf eingetroffen.

Kein Team hinter dem Team 

Fazloula, der 2015 über die sogenannte Balkanroute aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet ist, bekommt in diesen Tagen zu spüren, dass er auch im Flüchtlingsteam weiter ein Einzelkämpfer ist. Es gibt für den Kanuten kein Team hinter dem Team, kein Netzwerk, das für schnelle Lösungen sorgt. Fazloulas Stimmung schwankt mit jedem Tag. Er wirkt oft nachdenklich, dann motiviert er sich wieder. Er wollte in Tokio alle Kritiker überraschen und zeigen, dass er sich den Startplatz auch sportlich verdient hat.

Denn lange, fast fünf Jahre musste er um diesen Platz Team kämpfen. In dieser Zeit hat er erfahren, dass nicht jeder Flüchtling von den Sportverbänden gleich behandelt wird. Ein Kampf gegen Regelwerke und Funktionäre, den er schon fast verloren glaubte. Erst im Zuge einer ARD-Berichterstattung im vergangenen Sommer kam Bewegung in die Sache - mit dem positiven Ausgang für Fazloula. Seine letzte WhatsApp-Nachricht vor dem Start lautete: "Ich habe richtig Lust auf das Rennen."

Doch die Konkurrenz war stark, zu stark. Im Vorlauf und im Viertelfinale belegte er am Montag (02.08.2021) jeweils den vorletzten Platz und schied aus. Das Abenteuer Olympia im Flüchtlingsteam war für Fazloula schneller beendet als erhofft.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Olympia Tokio 2020 | 02.08.2021 | 02:00 Uhr

Stand: 02.08.21 17:57 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge USA USA 39 41 33
2. Flagge Volksrepublik China CHN 38 32 18
3. Flagge Japan JPN 27 14 17
4. Flagge Großbritannien GBR 22 21 22
5. Flagge Russisches Olympisches Komitee ROC 20 28 23
6. Flagge Australien AUS 17 7 22
7. Flagge Niederlande NED 10 12 14
8. Flagge Frankreich FRA 10 12 11
9. Flagge Deutschland GER 10 11 16
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