Der italienische Hochspringer Gianmarco Tamberi (l.) und Mutaz Essa Barshim aus Katar jubeln zusammen © picture alliance/dpa

Die Busemann-Kolumne

Frank Busemann in Tokio: Über das Gewinnen und das Verlieren

Der Sieg ist nur so schön, weil es die Niederlage gibt, sagt ARD-Experte Frank Busemann - bei einigen Sportlerinnen und Sportlern entlade sich angestaute Freude.

Warum machen wir eigentlich Sport? Okay, ich mache das, damit ich gesund bleibe, die Verdauung läuft und ich viele leckere Sachen essen kann. Viele Menschen machen das auch. Genauso. Es gibt aber auch ein paar Heißdüsen, die müssen sich im Wettkampf messen. Psst, so ein Verrückter war ich früher auch mal. Jetzt gibt es leider keine Disziplin mehr, in der ich gewinnen könnte, aber im Mau-Mau-spielen habe ich meine sechsjährige Tochter noch im Griff.

Manche Unterlegene freuen sich aus tiefstem Herzen

Die olympischen Sportler wollen ihre Grenzen nach hinten verschieben. Sie haben einen Plan, gehen einen Weg und wollen am Ende ein emotionales Erlebnis kreieren. Und laufen immerzu Gefahr, ins Scheitern und Verderben zu rennen. Es gibt nämlich immer nur einen, der oben steht, zwei die auf halber Höhe stehen und der Rest bleibt auf dem Boden der Tatsachen zurück. Allein. Verlieren tut weh. "Second is the first loser", heißt es.

Dennoch gibt es wirklich Zweit-, Dritt- oder sogar Achtplatzierte, die sich freuen. Und zwar nicht, weil sie gerade nichts Besseres zu tun haben, sondern aus tiefstem Herzen. Dabei ist das auch immer typabhängig. Bestleistungen quittierte ich früher mit einem "Grmph". Irgendwann war mir das zu wenig. Der Plan bei den Juniorenweltmeisterschaften war es, bei einem Sieg zu jubeln. Aber so richtig. Und es war geil. Sport ist emotional. Sehr emotional. Warum ist das so?

Am Wettkampftag wird gnadenlos abgerechnet

Wir müssen einen Fokus schaffen und diesen akribisch aufrechterhalten. Über Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Monate. Müssen diesen Fokus mit intelligentem Inhalt füllen. Die ganze Zeit stopfen wir unser System mit Input voll, bis es fast platzt. Es zählt nur der Tag des Wettkampfes. Judgement day. Nur da wird abgerechnet. Auf den Punkt. Gnadenlos. Nicht vorher, nicht nachher, nicht im Training, nicht in Träumen und Erzählungen. Unterwegs passieren immer mal wieder Dinge, auf die man echt verzichten kann.

Verletzungen zum Beispiel. Fieses Ding. Flausen im Kopf. Typabhängig. Falscher Ort und falsche Zeit. So wie bei Gianmarco Tamberi. Der hatte als Glücksbringer sein Gipsbein dabei. Im letzten Jahr machte der keinen Sprung. Fuß kaputt. Hier hatte er dieses Ungetüm mitgebracht. Das war bestimmt Sperrgut, das kostet extra. Egal, Sportler sind Psychos, wenn die einen Plan haben, knallen sie den durch. In diesem Jahr war er fit und hatte den richtigen Ort und den richtigen Wettkampf im richtigen Moment.

Geteilte Goldmedaille führt zu großer Freude

Der italienische Hochspringer Gianmarco Tamberi jubelt nach seinem Sprung. © picture alliance/dpa

Und dann sprang er mit dem Weltmeister Barshim um die Wette, wie sich das gehört und es spitzte sich zu, als beide ausschieden und beide Olympiasieger waren. Eigentlich. Der Kampfrichter kam und fragte nach einem Stechen. Die Kontrahenten schauten sich tief in die Augen - und einigten sich auf unentschieden, was in diesem Fall zwei Goldmedaillen bedeutete. Und dann platzte es aus Tamberi raus.

Alle Zweifel, alle Ängste, alles Zaudern, Hadern und alle Hoffnung entwichen. Mit dieser Entscheidung. Er war Olympiasieger. Er ist Olympiasieger. Ein Leben lang. Ab diesem einen Wettkampf. Er sprang herum, schmiss sich auf den Boden (hatte Glück, dass er sich die Zähne nicht an der Bahnumrandung ausschlug - aber mit Schienen kennt er sich aus). und alles brach aus ihm heraus. Freude pur. Die Italiener sind bekanntermaßen etwas heißblütiger, aber hier sah man glückselige Freude in Reinkultur.

Das Gewinnen schmeckt so gut, weil das Verlieren so bitter ist

Der Sieg ist nur so schön, weil es die Niederlage gibt. Das Gewinnen schmeckt so gut, weil das Verlieren so bitter ist. Aus dem Grund staut sich über eine lange Zeit unglaublich viel Energie in der Seele des Sportlers an, die in einem einzigen Moment entladen wird. Als wenn ein großer Luftballon platzt. Und dann brauchen wir dieses Ventil, weil Menschen nicht platzen können.

Deshalb lieben wir den Sport so sehr. Weil wir mitfiebern können, es gut und schlecht ausgehen kann und man in Ansätzen nachvollziehen kann, warum Athleten vor Freude nicht platzen, sondern schreien, kreischen, jubeln, lachen oder weinen. Diese olympischen Momente machen es so schön.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Olympia Tokio 2020 | 02.08.2021 | 02:10 Uhr

Stand: 02.08.21 08:55 Uhr