Speerwerfer Johannes Vetter aus Deutschland in Aktion. © imago images/Beautiful Sports Foto: Olaf Rellisch

Die Busemann-Kolumne

Frank Busemann in Tokio: Johannes Vetters Drama

Noch mal Speerwerfen, noch mal Drama. Ich bin fassungslos. Johannes Vetter war gekommen, um Olympiasieger zu werden. Der Dominator der letzten Jahre, der Beherrscher der 90-Meter-Marke war unschlagbar. Eigentlich.

Sport ist anders. Es kommt immer mal anders als man denkt. Sagte mir schon einst Olaf Thon, Fußball ist so geil, weil nicht immer der Beste gewinnt. Ey, das ist aber nur gut, wenn deine Mannschaft davon profitiert. Wenn ich den Speerwurf in Tokio zum Beispiel gewonnen hätte, Julian Weber hätte ich auch genommen. Dann ist diese Theorie spitzenmäßig. Aber nicht, wenn der deutsche Favorit in den Sack haut.

Aber Vetter gewinnt ja auch mit dem schrubbeligen Mistwurf. Der hat 10 Meter Puffer vor den anderen. Das ist so, als wenn Usain Bolt die 100 Meter in 10,5 gejoggt wäre. Der Bolt des Speerwerfens. Wie soll der verlieren? Kaum vorstellbar. Die Quali war Murks. Aber das ist die Quali. Morgens in der knalligen Hitze. Der Boden war weich. Jetzt ist Abend, okay, immer noch warm, aber nicht 70 Grad in der Sonne und die Laufbahn wurde runtergekühlt.

Auf einmal rutscht Vetter weg

Vetter macht seinen ersten Versuch und schleudert ihn auf ein bisschen über 82 Meter. Okay, keine Panik, denke ich, das ist der Vetter, der Bolt des Speerwerfens. 82,52 Meter sind so, als wenn Usain 11,0 laufen würde. Aber dann passiert etwas, was mich stutzig macht. Vetter läuft an und rutscht weg. Als wenn er auf Schmierseife unterwegs ist. Der hat aber Schuhe mit Nägeln an. Und Seife ist da nicht. Der rutscht, bevor er Grip bekommt, der hat gar kein Grip. Jetzt bekomme ich Angst. Panik. Und ich bin nur deutscher Fan. Was geht in Johannes' Kopf vor? Auf einen Schlag geht das Kopfkino los. Die schlechten Erfahrungen der letzten Monate kommen hoch. Slippery Track. Der Boden, der nicht zur Technik passt. Brutal hart muss er sein. Seit Anfang Juli hat er alle Wettkämpfe knapp über die 85 Meter geworfen. Immer war es der Belag. Auf einen Schlag. Immer rutschte er weg.

Busemann: "Es ist und bleibt seltsam"

Mein Interesse ist geweckt. Was kann es sein? Ich schaue im Internet Wettkampfbilder an. Die Schuhe? Die Schuhe sind andere! Aber ich bin nur Betrachter aus der Ferne. Aber die Speerwurfspikes sind andere. Zehn Meter weniger ist viel. Zufall? Habe ich unglückliche Videos rausgesucht? Warum ist der Belag plötzlich immer zu weich?

Okay, keiner stemmt so brutal rein wie Vetter, keiner arbeitet so professionell wie Vetter, keiner hat jemals so konstant über 90 Meter geworfen wie Vetter. Bis Ende Juni. Von einer Verletzung ist mir nichts bekannt. Aber solche Veränderungen ziehe ich bei Leistungseinbußen doch als erstes in Betracht? Ich bin ratlos und suche nach Antworten. Johannes sicherlich auch. Es ist und bleibt seltsam. Und ein Drama sondergleichen. So ist Sport nämlich total bescheuert, wenn nicht der Beste gewinnt.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Olympia Tokio 2020 | 08.08.2021 | 23:50 Uhr

Stand: 07.08.21 16:06 Uhr