ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann steht mit einem Mikrofon in der Hand in einem Stadion. © picture alliance / SVEN SIMON Foto: Anke Waelischmiller

Die Busemann-Kolumne

Frank Busemann in Tokio: Schwieriger Umgang mit der Niederlage

Eine Olympia-Medaille zu gewinnen, ist für viele Sportlerinnen und Sportler das große Ziel. Bei den Spielen nicht die erhoffte Leistung zu bringen, ist nicht immer einfach und jeder Sportler geht anders damit um, weiß ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann.

Er kam, sah und siegte: So wünschen es sich die Athleten. Vorbereitung mit Akribie, Ausleben der Leidenschaft, Belohnung mit dem Maximalen. Sieg, olympisches Gold, ein Traum wird wahr. Doch wer genau aufpasst, der wird in dieser Story einen kleinen Haken finden. Hollywood macht es vor und es klingt kitschig, aber vor dem Höhepunkt hat der Autor einen Rückschlag gesetzt. Immer. Keiner der Olympiasportler kommt da oben an und ist bei Minute 38 des Films fertig zur Krönung.

Oliver Zeidler war einer der Protagonisten für die Mission Impossible. Sitzt seit fünf Jahren im Boot und wird hier Olympiasieger. Weltmeister ist er schon, was in dieser Geschichte schon surreal wirkt. Die anderen wurden im Boot geboren, für das Rudern gezüchtet, er entscheidet sich mit 20 für den Zug an den Skulls und rauscht jetzt zur Krönung durch. Soweit der Plot für das Skript. Doch dann gibt's den fiesen Drehbuchautoren, der seinen Helden leiden lässt. Immer. Und letztlich stellt sich in diesen Erlebnissen raus, ob der Sportler Held eines epochalen Triumphes oder Dramas wird.

Konjunktiv-Olympiasieger gibt es nicht

Es ist schwierig, mit Niederlagen umzugehen. Für jeden unserer Sportlerinnen und Sportler ist die Teilnahme an Olympischen Spielen ein Traum und manche schielen sogar zu Recht auf die Medaillen. Florian Wellbrock schwamm ganz knapp an Bronze vorbei. Verdammter Mist, sollte man meinen. Er ist eigentlich Olympiasieger über 750 Meter Freistil. Leider gibt es diese Disziplin nicht. Ich bin ja auch Achtkampf-Olympiasieger. Ach, wie herrlich wäre das, wenn in der Vita Olympiasieger stünde. Konjunktiv. Gibts nicht.

Instinktiv machte ich damals mal was richtig nach meinem verpatzten Diskuswurf bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney. Ich ging zu den Journalisten. Wie ich es immer tat. Ich hatte gerade die schlechteste Leistung aller Zeiten in einem Zehnkampf geworfen. Weltrekord. Von unten. Ich kam, sah und wurde verdutzt angeschaut. "Was machst du denn hier?"

"Ich wollte erzählen, was passiert ist, aber wenn ihr nicht wollt, dann gehe ich wieder, ist okay", erwiderte ich. "Nein, nein, nein, bleib gerne hier, aber hier ist noch nie jemand stehen geblieben, der so verkackt hat, wie du!" Sie haben mich journalistisch leben gelassen. Glück gehabt. Im Nachhinein aber ein ganz menschlicher Prozess.

Athleten übernehmen Verantwortung

Das normale Prozedere damals war, sich über die vielen Zuschauer und den runden Diskus zu beschweren. Und die Wiese war auch viel grüner als bei mir zu Hause. Die Athleten haben gelernt. Sie übernehmen Verantwortung. In den letzten 20 Jahren ist viel passiert. Athleten, die oben ankommen wollen oder dort sind, reflektieren sich. Es zählt nur dieser eine verdammte Wettkampf. Der macht Sportlerinnen und Sportler unsterblich.

Der deutsche Schwimmer Florian Wellbrock reagiert enttäuscht auf sein Ergebnis © IMAGO / LaPresse

Florian Wellbrock hat nach der verpassten Medaille über 800 m noch zwei Medaillenchancen.

In diesem einen kleinen Moment, wenn alles passen muss. Dann zählt es. Mit gleichen Bedingungen für alle. Es ist hart, aber das Spiel. Wellbrock analysierte sich anschließend und konnte selbst im Moment einer großen Enttäuschung Positives rausziehen. Zeidler war komplett verausgabt und spürte die Last der Niederlage so brutal hart, dass er nicht reden konnte und wollte. Natürlich haderte er mit dem Schicksal, da unter normalen Umständen der aufgerauten See ein anderer Olympiasieger gekürt worden wäre. Wellbrock hat das Glück, die nächsten Tage nachlegen zu können, Zeidler das Pech, dass er jetzt wieder drei Jahre warten muss.

Sport ist mehr als nur das Ergebnis

Doch beide werden diese Olympischen Spiele aufnehmen, verarbeiten und zu ihrem Vorteil nutzen. Menschlich auf jeden Fall, sportlich hoffentlich auch. Der Drehbuchautor hat am Ende in Hollywood immer ein Happy End gesetzt, im Sport trifft es mit Gold immer nur einen. Aber auch die anderen können als Gewinner hervorgehen. Sport ist mehr als Sieg und Niederlage. Er formt den Charakter und belohnt auf verschiedenste Arten. Er kann hart sein und manchmal fühlt der Athlet Ungerechtigkeit.

Aber die Regeln sind allen bekannt, schon vorher. Es bleibt jedem selbst überlassen, wie er damit umgeht. Der Sport erzählt die schönsten Geschichten, weil es das Scheitern gibt. Ein guter Sportler ist mehr als ein guter Sportler. Verwirrend, aber wahr. Die Klaviatur des Erfolges beschränkt sich nicht nur auf gute Muskeln und starke Nerven. Es ist ein Zusammenspiel aus unzähligen Faktoren, die in einem Lernprozess zur Aneignung gelangen. Deshalb schmeckt der Erfolg so gut und der Film mit Überlänge kostet Zuschlag. Und das tut manchmal weh.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Olympia Tokio 2020 | 29.07.2021 | 00:06 Uhr

Stand: 28.07.21 17:06 Uhr