Sportpolitik

Hartung hört auf: "Athleten Deutschland" vor Umbruch

von Hajo Seppelt und Jörg Mebus

Max Hartung hat den Verein "Athleten Deutschland" zu einer einflussreichen sportpolitischen Institution geformt. Nun hört er nach Olympia nicht nur als Säbelfechter, sondern auch als Sportfunktionär auf.

Der Abschied vom Leistungssport traf den Säbelfechter Max Hartung noch mal mitten ins Herz. Nach seinem letzten Gefecht in Tokio flossen auch ein paar Tränen. Das fast zeitgleiche Ende der sportpolitischen Laufbahn ist für Hartung dagegen vergleichsweise nüchterne Kopfsache. "Athleten Deutschland hat in den letzten Jahren unheimlich viel Kraft und Energie gekostet", sagte Hartung im ARD-Interview: "Das Ding muss jetzt auch ohne mich laufen. Das wird einiges an Loslassen erfordern, aber ich bin zuversichtlich, dass das gelingen wird."

Hartung, der viermalige Säbel-Europameister, hatte in Tokio seine Laufbahn bei seinen dritten Olympischen Spielen mit einem leidenschaftlichen Gefecht um Bronze beendet - trotz einer Aufholjagd hatte es gegen Ungarn nur zu Rang vier gereicht. Nicht nur auf der Planche, sondern auch auf dem sportpolitischen Parkett hinterlässt er große Spuren.

"Herausragendes" Signal

2017 war er federführend an der Gründung von "Athleten Deutschland" beteiligt, als Präsident formte er den Verein zu einer der einflussreichsten Sportlervertretungen weltweit. 1.300 Mitglieder zählt der Verein mittlerweile - eine stolze Zahl angesichts der Tatsache, dass ausschließlich Bundeskaderathleten beitreten dürfen. In der Geschäftsstelle in Berlin-Charlottenburg arbeiten unter der Führung von Ex-Basketball-Nationalspieler Johannes Herber fünf weitere hauptamtliche Mitarbeiter. Die Finanzierung durch Steuergelder steht nach einer turbulenten Anfangszeit auf festen Beinen, auch weil der Respekt aus der Politik für Hartung und Co. riesig ist.

Dagmar Freitag (SPD), die Vorsitzende des Bundestag-Sportausschusses, gerät sogar regelrecht ins Schwärmen. "Es ist geradezu herausragend, welches Signal von Athleten Deutschland in die Welt gesendet worden ist. Wir sehen, dass sich jetzt zunehmend mündige, meinungsstarke, kritische Athletinnen und Athleten organisieren. Für mich zählt die Gründung von Athleten Deutschland zu den herausragenden sportpolitischen Entscheidungen der letzten Jahre", sagte Freitag der ARD.

Streit mit den vermeintlich Großen

Mitglieder von "Athleten Deutschland" erhalten heute in Streitfällen eine kostenlose juristische Erstberatung, der Verein kämpft leidenschaftlich für Integration und gegen Rassismus. Der Schutz vor Missbrauch von Athletinnen und Athleten ist fest in der Agenda verankert, nicht nur die Idee der Einrichtung eines bundesweiten "Zentrums für Safe Sport" entfachte im politischen Berlin großes Interesse.

Und der Verein scheut auch den Streit mit den vermeintlich Großen nicht. Mit dem Deutschen Olympischen Sportbund gerät er regelmäßig aneinander, aber auch das mächtige Internationale Olympische Komitee hat "Athleten Deutschland" schon kennen und fürchten gelernt. Der Verein klagte vor dem Bundeskartellamt erfolgreich gegen die "Regel 40" der olympischen Charta. Das IOC musste daraufhin deutschen Athleten mehr Werberechte während Olympischer Spiele zuerkennen, andere Nationen folgten bereits dem deutschen Vorbild.

"In der Ecke" der Athleten

In Tokio half der Verein, dass Hockeyspielerin Nike Lorenz eine Regenbogen-Kapitänsbinde tragen durfte. Er protestierte lautstark gegen die in IOC-Regel 50 verankerten massiven Einschränkungen der Meinungsfreiheit oder die schlechten Quarantäne-Bedingungen für coronapositive Athleten wie Radprofi Simon Geschke. Mit seinen Statements erreicht der Verein mittlerweile mitunter weltweit Resonanz und bewegt sich in der Kommunikation regelmäßig geschickter als der DOSB mit seinem Präsidenten Alfons Hörmann.

"Es braucht jemanden, auf den sich der Athlet voll verlassen kann, der in seiner Ecke steht", sagt Hartung: "Deswegen muss Athleten Deutschland unabhängig von den Strukturen im Sport sein, damit die Athleten sich auch im vollen Vertrauen an den Verein wenden können."

Wahl im Oktober

Trotz aller großen Erfolge und Errungenschaften hat Hartung in knapp vier Jahren als Präsident von "Athleten Deutschland" eines seiner größten Ziele nicht erreicht: eine direkte finanzielle Teilhabe von Athletinnen und Athleten an den gewaltigen Geldströmen des IOC. "Wenn die wichtigsten Athletinnen und Athleten bei Olympischen Spielen, die den größten Anteil daran haben, dass die Fernsehbilder auf der ganzen Welt geschaut werden, gemeinsam sagen würden: Wir erwarten, dass unsere Bedingungen erfüllt werden, dann hätten wir eine unheimlich große Macht", sagt er. An dieser Mammutaufgabe muss sich Athleten Deutschland künftig ohne Hartung, der ins Berufsleben wechselt und Geschäftsführer der Sportstiftung in Nordrhein-Westfalen wird, die Zähne ausbeißen. Ende Oktober wählt der Verein einen neuen Präsidenten oder eine neue Präsidentin. Er oder sie, soviel ist klar, tritt in große Fußstapfen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Olympia 2020 in Tokio | 22.07.2021 | 09:05 Uhr

Stand: 06.08.21 13:06 Uhr

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Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge USA USA 39 41 33
2. Flagge Volksrepublik China CHN 38 32 18
3. Flagge Japan JPN 27 14 17
4. Flagge Großbritannien GBR 22 21 22
5. Flagge Russisches Olympisches Komitee ROC 20 28 23
6. Flagge Australien AUS 17 7 22
7. Flagge Niederlande NED 10 12 14
8. Flagge Frankreich FRA 10 12 11
9. Flagge Deutschland GER 10 11 16
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