Olympische Sommerspiele in Tokio © picture alliance

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Team ROC bei Olympia in Tokio: "Liebesgrüße aus Russland"

von Jörg Mebus und Hajo Seppelt

Russische Sportler dürfen zum dritten Mal nacheinander bei Olympischen Spielen nur unter Auflagen starten. Die Nachwirkungen des Staatsdopingskandals sorgen auch in Tokio für viel Wirbel.

Sebastian Coe blickte leicht irritiert. Ein russischer Journalist hatte den Präsidenten des Leichtathletik-Weltverbandes gefragt, wie er es denn bitte rechtfertige, dass das russische Team in der olympischen Kernsportart bei den Wettkämpfen in Tokio nur zehn Sportlerinnen und Sportler stellen darf. "Lassen sie mich ganz offen sein", begann der britische Lord seine Antwort gewohnt höflich: "Es gab im Verband Kollegen von mir, die in Frage stellten, ob neutrale Sportler hier überhaupt dabei sein sollten." Nicht mehr als zehn russische Leichtathleten in Tokio unter neutraler Flagge - Coe nannte diese Maßnahme "angemessen".

Bach posiert mit russischen Turnerinnen 

Die Antworten in der Russlandfrage, die Coe und sein Weltverband geben, gehören zu den härtesten, entschiedensten in Tokio. Thomas Bach, das ist seit langem bekannt, ist dagegen kein Freund einer allzu strikten Linie gegen Russland. Der IOC-Präsident lässt das auch in Japan durchblicken. Im Ariake Gymnastics Center posierte Bach inmitten der russischen Turnerinnen und sandte damit erneut die umstrittene Botschaft in die Welt, die er seit Jahr und Tag im Zusammenhang mit dem Staatsdopingskandal vertritt: Russische Athletinnen und Athleten dürfen nicht für das büßen, was Funktionäre verbrochen haben.

Skandal kam 2014 ins Rollen 

Die Russlandfrage spaltet nicht nur die beiden sportpolitischen Schwergewichte Bach und Coe. Was an grundsätzlichen Sanktionen gegen die Staatsdoper übriggeblieben ist, sorgt auch in Tokio für Diskussionen.

Recherchen der ARD-Dopingredaktion brachten den Skandal im Dezember 2014 ins Rollen, als erstmals massive Vorwürfe gegen Russlands Leichtathletik publik wurden. Später kam heraus, dass die Gastgeber während der Winterspiele 2014 in Sotschi unter anderem mit Hilfe des Geheimdienstes FSB dopingverseuchte Urinproben russischer Sportler reihenweise gegen saubere austauschten.

"We will ROC you" 

Die Machenschaften setzten sich bis 2019 mit der Manipulation von Daten aus dem Moskauer Dopingkontrolllabor fort. Komplette Olympia-Sperren für Russland gab es nie, dafür zaghafte Maßnahmen nach einem chaotischen Verfahren in Rio 2016 sowie Sanktionen in Pyeongchang 2018, vergleichbar mit denen in Tokio.  

Während der Spiele in Japan darf die russische Flagge nicht gezeigt werden, bei russischen Siegen erklingt Tschaikowskis erstes Klavierkonzert statt der Nationalhymne. Das russische Team, 335 Athletinnen und Athleten stark, muss unter dem Namen des nationalen olympischen Komitees firmieren: "ROC". Dies brachte kreative Köpfe in Russland darauf, in Anlehnung an den Queen-Klassiker den Slogan "We will ROC you" zu entwerfen.

"Das Wichtigste ist der Stolz unserer Athleten" 

In Russland werden die Maßnahmen, die ursprünglich auf vier Jahre angesetzt waren und durch den vom IOC beeinflussten Internationalen Sportgerichtshof CAS halbiert wurden, bis in höchste Stellen als Zumutung betrachtet. ROC-Präsident Stanislaw Posdnjakow bezeichnete sie noch kurz vor Beginn der Spiele als "unfair". IOC-Präsident Bach betonte allerdings am Freitag, Team ROC zeige "vollen Respekt für die Sanktionen".

Eher buchstäblich kämpferisch als respektvoll zeigte sich dagegen Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, in einem eigens für Olympia produzierten Social-Media-Video. Zu Beginn des kurzen Films verprügelt die Außenamtssprecherin eine Puppe mit der Aufschrift "Press", die ausländische Journalisten symbolisieren soll. Danach sagte sie, der Status des Teams sei irrelevant, "das Wichtigste ist der Stolz unserer Athleten und dass die Welt davon erfährt. Lassen sie es mich mit den Worten unserer ausländischen Freunde sagen: We will rock you! Liebesgrüße aus Russland."

"Englischsprachige Propaganda"

Rob Koehler, Generaldirektor der Sportler-Lobby-Organisation Global Athlete, sind solche Aktionen und der gesamte Auftritt von Team ROC ein Dorn im Auge. "Es geht um einen der größten je dagewesenen Dopingskandale. Und trotzdem treten sie immer noch an als russische Athleten. Sie fühlen sich als russische Sportler und sehen auch so aus. Russland hat nie den Preis für das Staatsdoping bezahlt", sagte Koehler der ARD-Dopingredaktion.

Zudem gibt es in Tokio Sportler, die glauben, dass die russische Dopingkultur ein ausgesprochen aktuelles Problem darstellt. Nachdem die Schwimmer Ryan Murphy (USA) und Luke Greenbank (Großbritannien) im Finale über 200 m Rücken im Rennen um Gold Jewgeni Rylow unterlegen waren, bezichtigten sie ihren russischen Konkurrenten indirekt des Dopings. Der Konter folgte prompt. "Die kaputte Schallplatte spielt wieder einmal das Lied über das russische Doping, und jemand drückt fleißig auf den Knopf der englischsprachigen Propaganda“, schrieb das Team ROC auf Twitter. Kreml-Sprecher Dimitri Peskow meinte, man solle all dem keine Aufmerksamkeit schenken: "Unsere Leute sollen Medaillen gewinnen, vorzugsweise goldene."

Dies gelingt Peskows Landsleuten vortrefflich. Zehn Mal in sieben Wettkampftagen erklang bereits Tschaikowski. Nur China, Gastgeber Japan und die USA holten bis dahin mehr Medaillen. 

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Olympia Tokio 2020 | 30.07.2021 | 23:55 Uhr

Stand: 31.07.21 08:29 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge USA USA 39 41 33
2. Flagge Volksrepublik China CHN 38 32 18
3. Flagge Japan JPN 27 14 17
4. Flagge Großbritannien GBR 22 21 22
5. Flagge Russisches Olympisches Komitee ROC 20 28 23
6. Flagge Australien AUS 17 7 22
7. Flagge Niederlande NED 10 12 14
8. Flagge Frankreich FRA 10 12 11
9. Flagge Deutschland GER 10 11 16
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