Para-Leichtathletinnen Lise Petersen und Martina Willing (Montage) © Imago Images Foto: Mika Violkmann, Beautiful Sports/Marcus Hartmann

Leichtathletik

Leichtathletik: Zwei Generationen auf Medaillenjagd bei den Paralympics

von Florian Neuhauss

In Rio de Janeiro war Deutschland in der Leichtathletik sehr erfolgreich. Die Ausbeute wird sich kaum wiederholen lassen, aber Weltrekordjäger, Oldies und ein "Wunderkind" sorgen für gute Aussichten.

Satte 25 Medaillen holten die deutschen Leichtathletinnen und -athleten vor fünf Jahren in Brasilien. Allein aufgrund des deutlich kleineren Aufgebots wird die Ausbeute in Tokio jedoch geringer ausfallen. Die 27-köpfige Mannschaft ist nichtsdestotrotz hochkarätig besetzt - und was auffällt: Neben einigen etablierten Sportlern, drängt eine junge, forsche Gruppe nach. In Japan sind zwei Generationen für Deutschland auf Medaillenjagd.

"Martina Willing könnte mit ihren bald 62 Jahren meine Mutter sein. Deshalb könnte man fast von drei Generationen sprechen", sagt der 38 Jahre alte ARD-Experte Heinrich Popow lachend. "Die hat schon an Paralympics teilgenommen, da gab es viele ihrer Teamkollegen von heute noch gar nicht."

Neben der Wurfexpertin Willing, die sich mit der Kugel, dem Speer und dem Diskus qualifiziert hat, gehört auch der 48 Jahre alte Kugelstoßer Daniel Scheil, der in Rio Gold gewonnen hat, wieder zu den heißen Medaillenkandidaten. Ebenso Irmgard Bensusan (Popow: "Sie ist in der Form ihres Lebens"), Frances Herrmann, Katrin Müller-Rottgardt, Niko Kappel, Sebastian Dietz und natürlich Markus Rehm.

Auch wenn der Weitspringer mit seinen 33 Jahren mittlerweile zu den älteren Athleten gehört, ist die Verbesserung seines eigenen Weltrekords sein Ziel - bei der EM im Juni ist er 8,62 m gesprungen, 21 Zentimeter weiter als Olympiasieger Miltiadis Tentoglou.

"Da scheint noch was zu gehen", sagt Rehm lachend. Davon ist auch Popow überzeugt: "Markus ist ein absoluter Ausnahme-Athlet, der richtig hart arbeitet. Ich bin mir nicht sicher, wie unsere Jungen mit der Bahn im Olympiastadion zurechtkommen. Nur bei Markus habe ich überhaupt keinen Schiss. Er kennt seine Prothese so gut, als wäre das sein Fuß. Er kann überall springen und wird den Wettkampf dominieren."

Merle Menje ist "the German wunderkind"

Speerwerferin Lise Petersen ist mit ihren 16 Jahren die jüngste Athletin im Aufgebot. Popow mahnt, dass sie und ihre nur ein Jahr ältere gute Freundin Merle Menje "die Zeit bekommen, um das alles hier zu genießen. Sie können in Zukunft noch viel leisten."

Das IPC nannte Menje, die für den Stadt-Turnverein Singen startet, sogar "German Wunderkind", nachdem sie für viele überraschend zuletzt bei der EM zwei Titel (400 und 5.000 m) und zwei Silbermedaillen (100 und 800 m) gewonnen hatte. Eine Paralympics-Medaille wäre für die Athletin im Rennrollstuhl angesichts der starken Konkurrenz allerdings eine Überraschung.

Para-Leichtathletin Merle Marie Menje  Foto: imago images/Beautiful Sports

Mit 17 das erste Mal bei den Paralympics: Merle Marie Menje.

Genauso wie Petersen zählt Menje zu einer Top-Ten-Liste von Teenager-Stars, die laut Komitee "den Stern der Paralympics heller erstrahlen lassen können".

Popow hofft, dass ihr kein zu großer Druck aufgelastet wird: "Man muss auch wissen, dass sie hier mit geliehenen Reifen unterwegs ist. Eine Sportprothese zahlt die Krankenkasse, wenn man damit argumentiert, dass sie für den Schulsport ist. Dafür hat die Generation Popow einiges getan. Einen Rennstuhl bekommt man aber nicht für den Schulsport. Und das Equipment aus eigener Tasche zu bezahlen, ist sehr teuer." Deshalb ist Menje auf fremdes Material angewiesen.

Floors, Streng und Schäfer allesamt Gold-Kandidaten

Zur neuen Generation zählen aber auch Johannes Floors, der den Allzeitrekord von Oscar Pistorius über die Stadionrunde anpeilt, Felix Streng und Leon Schäfer, die allesamt Goldfavoriten bei ihren Starts sind. "Die Jungen sehen den Behindertensport mit ganz anderen Augen als die ältere Generation", weiß Popow. "Bei uns lief auch in der Öffentlichkeit die Identifikation hauptsächlich über die Behinderung. Jetzt steht der Leistungssport viel mehr im Mittelpunkt. Wir haben damals Trainingslager absolviert und mussten in der Jugendherberge schlafen. Heutzutage geht es gleich nach Südafrika ins Vier- oder Fünf-Sterne-Hotel."

Man könne mittlerweile auch mit seiner Behinderung cool sein, so Popow: "Leon ist ein Sunnyboy, der bei seinem Sport auch gut aussehen will. Johannes ist ein Perfektionist, der selbst viel an seinen Prothesen herumschraubt. Und Felix hat alles aufgegeben, um mit einer olympischen Trainingsgruppe in Großbritannien zu arbeiten. Da geht es voll und ganz um höher, schneller, weiter."

Ein gutes Dutzend Medaillen ist wohl ein realistisches Ziel für das deutsche Team. Wenn es richtig gut läuft, könnten auch noch ein paar mehr herausspringen. Dazu müssten aber beide Generationen gleichermaßen ihr ganzes Potenzial abrufen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Paralympics Tokio 2020 | 27.08.2021 | 09:05 Uhr

Stand: 26.08.21 15:45 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge Volksrepublik China CHN 96 60 51
2. Flagge Großbritannien GBR 41 38 45
3. Flagge USA USA 37 36 31
4. Flagge Russisches Paralympisches Komitee RPC 36 33 49
5. Flagge Niederlande NED 25 17 17
6. Flagge Ukraine UKR 24 47 27
7. Flagge Brasilien BRA 22 20 30
8. Flagge Australien AUS 21 29 30
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12. Flagge Deutschland GER 13 12 18
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