Mathias Mester mit seiner EM-Goldmedaille © imago images/BEAUTIFUL SPORTS Foto: Marcus Hartmann

Interview

Mathias Mester: "Werde Paralympics als begeisterter Fan verfolgen"

Mathias Mester war jahrelang eines der Gesichter des deutschen Parasports. Nach seinem EM-Sieg im Speerwerfen in diesem Jahr beendete der 34-Jährige wegen hartnäckiger Rückenprobleme seine Karriere. Eigentlich wollte der Paralympics-Silbermedaillengewinner im Kugelstoßen von 2008 selbst in Tokio an den Start gehen, nun ist er lediglich Zuschauer. Im Interview mit sportschau.de spricht er über die Paralympics in Corona-Zeiten, Sport nach der Karriere und seine Zukunftspläne.

Herr Mester, die Gesundheit ist das Wichtigste, deshalb zunächst die Frage: Wie geht es Ihrem Rücken?

Mathias Mester: Sehr gut! Ich habe mir nach meiner Entscheidung erst mal ein paar Wochen Pause gegönnt. Allerdings habe ich recht schnell einen kleinen Schwimmreifen um meine Hüften bemerkt. Ich musste also wieder Sport machen. Aber ich kann mir mittlerweile wieder jeden Tag ohne Rückenschmerzen die Schuhe zubinden.

Kein Speerwerfen mehr - was machen Sie denn jetzt für die Figur?

Mester: Ich habe mein Leben lang Sport gemacht und brauche das einfach. Tatsächlich hat sich, kurz nachdem ich mein Karriereende bekannt gegeben hatte, mein alter Fußballtrainer bei mir gemeldet und mir sofort die neuen Trainingszeiten durchgegeben. Und tatsächlich will ich jetzt wieder mit meinen Jungs kicken - die Fußball-Schuhe, ein Deutschland-Trikot und eine Deutschland-Hose habe ich mir schon gekauft. Aber ich mache auch andere Sachen, um fit zu bleiben. Nur ohne den Leistungsgedanken. Heinrich Popow ist mir ein warnendes Beispiel. (lacht) Der hat nach seinem Karriereende ja doch ziemlich zugelegt.

Und wie fühlt sich das Karriereende mit ein bisschen Abstand an?

Mester: Ich habe mich früher oft gefragt, wie es wohl sein würde, wenn meine Karriere zu Ende geht und ob ich es wohl merken würde, wenn die Zeit gekommen ist. Ich kenne viele Sportler, die deutlich älter sind als ich und trotzdem noch erfolgreich dabei sind. Aber ich hatte im Januar noch mal richtig starke Rückenschmerzen. Und als ich bei der EM dann die Goldmedaille gewonnen hatte, wusste ich, dass dies der perfekte Zeitpunkt ist.

Zwei Tage später habe ich bei meinen Eltern zu Hause die Medaille auf den Tisch gelegt und gesagt, dass es das für mich war. Mein Vater ist aufgestanden, hatte Tränen in den Augen und hat mir gesagt, dass ich für ihn der größte Sportler aller Zeiten sei. Auch meine Mutter war ergriffen. Es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung.

Die Paralympics waren noch mal Ihr großes Ziel. Nun verfolgen Sie die Spiele aus der Distanz - mit welchem Gefühl?

Mester: Es wird natürlich ganz anders sein als als Athlet. Auf dem Sofa zu Hause und nicht im Stadion und nicht mit Niko Kappel auf dem Zimmer (lacht). Ich werde als begeisterter Fan dabei sein! Normalerweise konnte ich immer nur Olympia von A bis Z verfolgen. Von den Paralympics habe ich dann, auch wenn ich vor Ort war, gar nicht so viel mitbekommen. Ich bin gespannt, die beiden Veranstaltungen jetzt mal vergleichen zu können.

Hat es Ihre Rücktritts-Entscheidung vereinfacht, weil Paralympische Spiele in Corona-Zeiten etwas ganz anderes sein werden?

Mester: Ja, das hat meine Entscheidung beeinflusst. Und auch wenn meine Gesundheit natürlich im Vordergrund stand, hat Corona mir den Entschluss leichter gemacht. Natürlich werden die Paralympics auch so etwas ganz Besonderes für jeden Sportler sein. Aber mit den besonderen Regeln zur An- und Abreise der Athleten und der Blase, in der man sich vor Ort nur bewegen darf, ist der paralympische Gedanke kaum zu leben.

Hand aufs Herz: Wie wahrscheinlich wäre es überhaupt gewesen, dass Sie die Norm für die Paralympics noch erfüllt hätten? Mit Ihrer Siegweite von der EM waren Sie noch deutlich darunter.

Mester: Die Verletzung im Januar hat mich weit zurückgeworfen. Aber man muss auch wissen, dass die Athleten, die bei der EM dicht hinter mir gelandet sind, damit allesamt die Norm für ihr Heimatland erfüllt haben. Die deutsche Norm liegt nur knapp unter meinem Europa-Rekord. Aber ich hätte es mir trotzdem noch zugetraut.

Welche Medaille in Ihrer Karriere bedeutet Ihnen am meisten?

Mathias Mester mit seiner EM-Goldmedaille © imago images/BEAUTIFUL SPORTS Foto: Marcus Hartmann

Mester: Schon die Silbermedaille bei den Paralympics 2008. Aber auch wenn ich insgesamt siebenmal Weltmeister geworden bin, kommt direkt danach mein EM-Sieg in diesem Jahr. Dass ich unter diesen Umständen den Titel gewonnen habe, bedeutet mir auch sehr viel.

Und was bedeuten Ihnen Ihre jüngste Auszeichnung für "besondere Leistungen", die sie nicht auf dem Sportplatz, sondern für Ihren nimmermüden Einsatz bei den parantänischen Sommer- und Winterspielen in der Corona-Zeit bekommen haben?

Mester: Weil ich nicht zu den Paralympics durfte, mussten die Spielen eben zu mir kommen (lacht). Dass ich so viele Menschen in der schweren Zeit zum Lachen gebracht habe, hat mich sehr gefreut. Außerdem sind insgesamt 18.000 Euro für den guten Zweck zusammengekommen. Die Auszeichnung hätte es da gar nicht mehr gebraucht, ist aber natürlich eine große Ehre.

Sie waren über Jahrzehnte mittendrin im Parasport - wie hat sich die öffentliche Wahrnehmung in dieser Zeit verändert?

Mester: Ich bin nach Olympia in meiner Heimat mehrfach angesprochen worden von Leuten, die sich auf die Paralympics freuen. Die können mit den Olympischen Spielen heutzutage nicht mehr so viel anfangen - und wissen die Leistungen bei den Paralympics viel mehr zu schätzen. Das Interesse zeigt sich auch am Umfang der TV-Übertragungen, die von Jahr zu Jahr ausgebaut worden sind.

Was erwarten Sie von der deutschen Mannschaft in Tokio?

Mester: Ich gehe fest davon aus, dass Deutschland unter den Top 10 im Medaillenspiegel landen wird. Aber ich habe das in meiner Sportart gesehen, da ist ein Inder Weltjahresbester - auch bei Olympia hat ja ein Inder Speerwurf-Gold gewonnen. Die vermeintlich kleinen Sport-Nationen entwickeln sich auch weiter. Der Sport lebt von Überraschungen, auch die Paralympics. Und es werden sicher wieder einige Sportler Medaillen gewinnen, mit denen niemand gerechnet hätte.

Sie haben mit den parantänischen Spielen viel Aufmerksamkeit erregt, Sie waren in Fernsehshows zu sehen, Sie haben ein Buch geschrieben - nun begleiten sie Spiele in Tokio für die Sportschau in einem Videoformat. In welche Richtung führt Ihr Weg für die Karriere nach der Karriere?

Mester: Ich hoffe, dass es bei solch einer Mischung bleiben kann. Ich hatte schon bei den Winterspielen in Pyeongchang viel Spaß daran, als Sportexperte dabei zu sein. Ich möchte aber auch weiterhin als Botschafter für den Parasport unterwegs und Vorbild sein. Die Inklusion muss weiter vorangetrieben werden. Und dazu kann ich vielleicht auch mit ein bisschen Entertainment beitragen. Es ist wichtig, auch über sich selbst lachen zu können.

Das Gespräch führte Florian Neuhauss

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Paralympics 2020 | 24.08.2021 | 09:05 Uhr

Stand: 22.08.21 15:08 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge Volksrepublik China CHN 96 60 51
2. Flagge Großbritannien GBR 41 38 45
3. Flagge USA USA 37 36 31
4. Flagge Russisches Paralympisches Komitee RPC 36 33 49
5. Flagge Niederlande NED 25 17 17
6. Flagge Ukraine UKR 24 47 27
7. Flagge Brasilien BRA 22 20 30
8. Flagge Australien AUS 21 29 30
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12. Flagge Deutschland GER 13 12 18
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