Die deutschen Para-Badmintonspieler Thomas Wandschneider (l.) und Peter Mi Young-Chin © IMAGO Foto:  Mika Volkmann

Badminton

Paralympics-Premiere: Deutsches Badminton braucht noch Zeit

von Florian Neuhauss

Sportlich lief es für Deutschland auf dem Platz nicht wie gehofft. Das Abschneiden überrascht aber auch nicht, weil das Para-Badminton noch in den Kinderschuhen steckt.

Thomas Wandschneider setzt den Ball kurz hinter das Netz. Dong Seop Lee kommt mit seinem Rollstuhl nicht schnell genug nach vorn. Der Deutsche stößt sofort einen Jubelschrei aus - und kassiert dafür einen Rüffel der spanischen Schiedsrichterin. Sie zitiert ihn zu sich und versucht ihm zu erklären, dass er nicht so früh jubeln darf. "Die letzte Ermahnung." Doch der Punkt zählt - 15:15. Nach gewonnenem ersten Satz hat der 57-Jährige mit dem langen Zopf den in der sitzenden Klasse WH1 an Nummer eins gesetzten Südkoreaner am Rand einer Niederlage.

Doch der Niedersachse agiert in der Folge verunsichert. Beim Punktgewinn zum 16:17 entfährt ihm wieder ein Jubelschrei, er hält sich schnell mit der Hand den Mund zu. Dabei ging es nur darum, dass er nicht schon feiern darf, bevor die Linienrichterin ihre Entscheidung getroffen hat. "Ich habe das gar nicht verstanden - und mich hat das leider aus dem Konzept gebracht", erklärt Wandschneider nach seiner 1:2 (21:17, 19:21, 17:21)-Niederlage, die zugleich das Vorrunden-Aus bedeutete.

Nur wenige Lichtblicke im deutschen Team

Wandschneider war einer von sechs deutschen Athletinnen und Athleten, die im Einzel und Doppel in Tokio an den Start gegangen sind. Der Senior im Team hatte sich eigentlich mehr ausgerechnet, aber nach wenig Schlaf und - wie er hinterher feststellte - zu wenig Luft in den Reifen ("Das ist mir in 19 Jahren Badminton noch nie passiert") schon sein erstes Match verloren.

Was umso ärgerlicher ist, weil es seinen Teamkollegen und -kolleginnen meist ähnlich erging. Zu oft fehlten im entscheidenden Moment ein paar Prozent. Lediglich Valeska Knoblauch, die ihren einzigen Sieg auch noch gegen Elke Rongen feierte, überstand die Vorrunde, unterlag dann aber im Viertelfinale der Chinesin Jing Zhang.

Bundestrainer: "Abschneiden kommt nicht überraschend"

"Dass es hier so läuft, ist nicht überraschend, auch wenn wir natürlich mit mehr geliebäugelt hatten", erklärt Bundestrainer Christopher Skrzeba. Erst seitdem feststand, dass Badminton ins Paralympics-Programm aufgenommen wird, wurde in Deutschland damit begonnen, richtige Strukturen aufzubauen. "Paralympische Sportarten werden ganz anders gefördert", betont Skrzeba. Nun gibt es zweieinhalb hauptamtliche Stellen, dazu Budget für internationale Wettkämpfe und auch eine erhöhte Förderung für Sportlerinnen und Sportler.

Wandschneider hat sich das Badminton-Spielen selbst beigebracht. Erst seit ein paar Jahren arbeitet er mit einem Trainer zusammen. Der Stützpunkt in Hannover ist mittlerweile zum Bundesstützpunkt erklärt worden. Dort können alle Mitglieder der Nationalmannschaft täglich trainieren. Stützpunktcoach Jens Jarisch ist auch in Tokio mit dabei und hat gesehen, dass seine Schützlinge Nerven zeigen: "Aber es ist eben für alle neu hier."

Knoblauch hatte eigentlich erwartet, nervöser zu sein. "Ich war vorher ziemlich aufgeregt. Aber ich habe mich im Dorf schnell entspannt. Es ist voll cool, dass ich es hierher geschafft habe", sagt die 30-Jährige. Auf die ganzen Athletinnen und Athleten aus verschiedenen Ländern zu treffen und auch neue Trainingsinhalte im Gym kennenzulernen, hat sie sehr beeindruckt.

Para-Badminton hat ein Nachwuchsproblem

Mit ihren 30 Jahren ist die Coesfelderin nach Jan-Niklas Pott die Zweitjüngste im Team. Das ist kein Zufall: Während die starken asiatischen Nationen bei Turnieren sogar mit B-Mannschaften am Start sind, hat das deutsche Para-Badminton ein Nachwuchsproblem. "Wir haben gerade einen Sichtungslehrgang für Kleinwüchsige abgehalten. Da waren 20 Teilnehmer dabei. Aber die sind zwischen acht und zehn Jahren alt, das dauert noch, bis die in der Nationalmannschaft ankommen würden", sagt Stützpunktcoach Jarisch.

Bundestrainer Skrzeba sieht deshalb "in den nächsten Jahren auch vor allem das Netzwerken als unsere Hauptaufgabe. Wir müssen Nachwuchs finden, wir brauchen neue Leute."

"Förderung reicht gerade für die Krankenversicherung"

Ein paar Jüngere, die es noch nicht nach Tokio geschafft haben, könnten für Paris ein Thema werden und sollen den Etablierten Druck machen. Knoblauch, die Wandschneiders Spiel von der Tribüne aus verfolgte, hat die Sommerspiele in drei Jahren fest eingeplant: "Es ist total schade, dass keine Zuschauer da sind. Unten bekommt man das gar nicht so mit. Aber von hier oben das leere Stadion zu sehen..."

Auch Wandschneider hofft, sich für 2024 erneut qualifizieren zu können. "Ich würde sehr gern noch mal dabei sein. Aber das ist auch eine Frage des Geldes. Die Förderung reicht gerade mal, um die Krankenversicherung zu bezahlen. Ich brauche deshalb unbedingt noch Sponsoren", erklärt der Spieler vom VfL Grasdorf, der kurz nach Paris seinen 60. Geburtstag feiern wird. "Ich glaube, wir zeigen hier, was Badminton für ein toller Sport ist. Da sind richtig hochklassige Spiele dabei. Die Enttäuschung ist riesengroß, dass ich nicht eine Runde weitergekommen bin."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Paralympics Tokio 2020 | 04.09.2021 | 09:05 Uhr

Stand: 03.09.21 13:57 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge Volksrepublik China CHN 96 60 51
2. Flagge Großbritannien GBR 41 38 45
3. Flagge USA USA 37 36 31
4. Flagge Russisches Paralympisches Komitee RPC 36 33 49
5. Flagge Niederlande NED 25 17 17
6. Flagge Ukraine UKR 24 47 27
7. Flagge Brasilien BRA 22 20 30
8. Flagge Australien AUS 21 29 30
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12. Flagge Deutschland GER 13 12 18
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