ARD-Expertin Kisten Bruhn © Sportschau Foto: Florian Neuhauss

Interview

Bruhn: "Hoffe auf viele deutsche Medaillen"

Kirsten Bruhn hat die Seiten gewechselt. Die dreimalige Paralympicssiegerin im Schwimmen ist in Rio de Janeiro erstmals für die ARD als Expertin dabei. 2002 absolvierte die gebürtige Schleswig-Holsteinerin ihren ersten Wettkampf, zwölf Jahre später bei der Kurzbahn-DM in Riesa ihren letzten. Nach elf Medaillen bei Paralympics, sechs Welt- und acht Europameistertiteln schaut die 46-Jährige besonders bei ihren ehemaligen Kollegen und Gegnerinnen ganz genau hin. Im Interview mit sportschau.de spricht sie über die Aussichten der deutschen Schwimmer, die Barrierefreiheit in Rio und die Karriere nach der Karriere.

Kirsten Bruhn, Sie waren zwölf Jahre lang als Medaillensammlerin unterwegs, jetzt müssen Sie anderen bei der Jagd nach Edelmetall zugucken. Mit welchem Gefühl gehen Sie die neue Aufgabe an?

Bruhn: Es ist schon skurril, hier, aber kein Athlet mehr zu sein. Ich habe mein Schwimmteam beim Training beobachtet, aber ich gehöre nicht mehr dazu. Trotzdem weiß ich natürlich, wie sich die Anspannung anfühlt, und dass der Spannungsbogen auch überspannt werden kann. Ich hoffe für die deutsche Mannschaft, dass sie viele Medaillen gewinnt - und kann mich dann einfach mitfreuen.

Auf wen freuen Sie sich bei den Spielen besonders?

Bruhn: Ich sollte ja eigentlich niemanden hervorheben (lächelt). Aber es wird schon spannend sein zu sehen, wie die Medaillenkandidaten Elena Krawzow und Torben Schmidtke mit der besonderen Drucksituation bei Paralympics umgehen. Das gilt auch für Emely Telle, sie sich beim Training ein bisschen am Fuß verletzt hat. Entscheidend ist nicht nur die Physis, sondern auch die Psyche. Daniela Schulte, die in London Gold und Silber gewonnen hat, ist schon zum fünften Mal dabei. Bei den blinden Schwimmern sind aber irre viele Nachwuchstalente aus der ganzen Welt dazugekommen. Sie braucht viele Quäntchen Glück, um bei den Medaillenvergaben ein Wörtchen mitzusprechen.

Die deutschen Schwimmer sind bei den Olympischen Spielen ohne Medaille geblieben. Dabei haben sie mit Tageslicht-Leuchten und anderen Kniffen alles versucht, um sich auf Rio einzustellen.

Bruhn: Klar, als die Schwimmer ins Becken mussten, lag das Gros der Menschen im Bett. Aber ob deshalb die Simulation einer früheren Tageszeit Sinn macht? Man muss auf den Moment genau mental bereit sein. Das Unterbewusstsein stellt viel mit uns an - und lässt sich womöglich nicht manipulieren. Mein Vater, der mich ja trainiert hat, und ich haben so etwas nie gemacht.

Wer sind die internationalen Stars?

Bruhn: Der Hotspot ist auf jeden Fall der Brasilianer Daniel Diaz. Aber auch sein Landsmann André Brasil ist zu nennen. Vor Heimpublikum kommt eine ganz andere Aufregung dazu. Die Britin Eleanor Simmonds hat in London dem Druck standgehalten - und gehört auch jetzt wieder zu den Stars. Die Drei können für Highlights sorgen, auf die ich mich sehr freue.

Durch den Ausschluss Russlands fehlen viele Athleten am Zuckerhut. Was halten Sie von der Entscheidung des IPC?

Bruhn: Ich finde sie gut und konsequent. Das ist ein Zeichen für sauberen Sport. Für die Sportler, die mit diesem Doping-System nichts zu tun haben und trotzdem leiden müssen, tut mir es einfach leid. Das ist ein Drama, eine Tragödie. Aber ich hoffe, dass dieser Schmerz für die ganze Nation zu Veränderungen führt. Sie sind bitter nötig.

Als ARD-Expertin sind sie wie sonst auch immer in der Schwimmhalle. Nun fällt aber das Training weg, was stellen Sie mit der Zeit an?

ARD-Moderatorin Juliane Möcklinghoff (l.) und ARD-Expertin Kirsten Bruhn im Studio © Sportschau Foto: Sylvia Peuker

ARD-Moderatorin Juliane Möcklinghoff (l.) und ARD-Expertin Kirsten Bruhn im Studio.

Bruhn: Ich hoffe, dass ich ins Olympia-Stadion komme. Die Atmosphäre und Stimmung bei den Leichtathleten habe ich noch nie live vor Ort erlebt.

Ein viel diskutiertes Thema ist die Barrierefreiheit. Wie haben Sie Rio in dieser Hinsicht bisher erlebt?

Bruhn: Im Hotel und am Arbeitsplatz ist es perfekt Auch unterwegs war nichts Unüberwindbares. Es ist aber auch in Europa so, dass ich immer mal wieder kreativ sein muss, zum Beispiel krabbelnd. Vom deutschen Team habe ich Ähnliches gehört. Die Erwartungen waren so niedrig, dass jetzt alle positiv überrascht sind.

Haben Sie das mal anders erlebt?

Bruhn: Bei meinen ersten Spielen in Athen war es schon heftig. Damals waren im olympischen Dorf noch Baugruben, die nicht richtig gesichert waren. Da sind drei Blinde reingefallen und haben sich verletzt. In Griechenland haben Fahrstühle nicht funktioniert und in andere haben keine Rollstühle reingepasst. In Rio ist die Lage nicht annähernd so schlimm.

Hand aufs Herz, vermissen Sie das Miteinander im Athletendorf nicht?

Bruhn: Nein, ich vermisse nichts. Auch wenn das natürlich immer ein absolutes Highlight war, das ich dreimal erleben durfte. Aber erst bei meinem letzten Start konnte ich das Gefühl richtig genießen. In London habe ich mich auf die 100 m Brust und Rücken konzentriert und hatte nicht mehr so viele Starts. Da gab es auch mal einen Tag, an dem ich mit dem Kopf mal nicht in den Pool gesprungen bin. Im Londoner Dorf konnte man sogar zum Friseur oder sich die Nägel machen lassen - wenn man denn wollte (lacht). Ich habe nur in den Shops eingekauft. Es gab wohl auch ein gutes WLAN, aber Internet war noch nie so mein Ding.

Apropos Internet: Wenn man Ihren Namen googelt, könnte man den Eindruck gewinnen, Sie hätten nach dem Schwimmen ein neues Steckenpferd.

Bruhn (überlegt kurz und lacht): Achja, das haben mir Freunde erzählt. Sie meinen den Blog für saubere Wäsche, oder? Ich habe zum Jahreswechsel die Adresse meiner Homepage geändert, deshalb ist die runtergerutscht. Keine Sorge, meine Leidenschaft bleibt das Schwimmen. Aber solange die Wäsche sauber ist...

Das Interview führte Florian Neuhauss, sportschau.de

Dieses Thema im Programm:

Sportschau live, 19.09.2016, 10.00 Uhr

Stand: 07.09.16 10:04 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge Volksrepublik China CHN 107 81 51
2. Flagge Großbritannien GBR 64 39 44
3. Flagge Ukraine UKR 41 37 39
4. Flagge USA USA 40 44 31
5. Flagge Australien AUS 22 30 29
6. Flagge Deutschland GER 18 25 14
7. Flagge Niederlande NED 17 19 26
8. Flagge Brasilien BRA 14 29 29
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