Blindenfussball

Blinden-Selecao verzückt das Publikum

von Florian Neuhauss, sportschau.de

Was ist nicht alles über schlechtes Verhalten der brasilianischen Zuschauer berichtet worden. Beim Blindenfußball wollten sie am Freitag (09.09.16) mit ganz viel Unterstützung glänzen, durften aber gar nicht. Die Spieler brauchen nämlich Ruhe - und die Selecao tat sich in der ersten Partie gegen Marokko ob der "Ruhestörung" sogar schwer. Doch fünf starke Minuten reichten Brasilien, der Paralympics-Champion von 2004, 2008 und 2012 besiegte die Nordafrikaner mit 3:1 (0:1).

Bei den Olympischen Spielen gehörten immer wieder auch Pfiffe und Buh-Rufe für den Gegner der Brasilianer zum Repertoire der Fans, um ihre Athleten zu unterstützen. Und was passierte gegen Marokko? Nach drückender Überlegenheit in den ersten Minuten kam plötzlich Abderrazak Hattab im Strafraum der Blinden-Selecao an den Ball. Der 25-Jährige drehte sich um Verteidiger Cassio herum und bezwang auch Torhüter Luan. Nach dem 0:1 war es ganz leise auf den Rängen. Die Zuschauer konnten offenbar nicht so recht glauben, was auf dem Feld passierte - auch nach dem Tor: Zwei Marokkaner küssten mit Verzücken den Kunstrasen, und spätestens als auch noch ein Handstand zur Aufführung kam, brach sich der Applaus seinen Weg. Die brasilianischen Fans jubelten dem Gegner lautstark zu.

Brillante Dribblings der Brasilianer

Doch lauter Jubel während der Partie stört die Spieler beim Blindenfußball. Da nicht alle Spieler gleichstark sehbehindert sind, tragen alle Pflaster vor den Augen und dazu eine lichtundurchlässige Brille. Den Weg weisen ihnen mit Zurufen Guides, der sehende Torhüter und Schellen im Ball. Bei Frei- und Strafstoß klopft der Hintertor-Guide mit einem Metallstab gegen die Pfosten, um zu zeigen, wo das Tor steht. Auf dem Platz ist immer wieder das spanische Wort "voy" (ich gehe/komme) zu hören, damit es keine allzu argen Zusammenstöße gibt. So entwickelt sich oftmals eine Partie mit beeindruckender Präzision.

Selecao-Kapitän Ricardinho mit seinen Offensivkollegen Nonato und Jefinho fanden sich gegen Marokko immer wieder mit punktgenauen Pässen von der einen Seite des Platzes zur anderen. Mit ihren Dribbel-Qualitäten können die meisten sehenden Fußballer nicht mithalten. Kein Wunder, dass die Zuschauer immer wieder kaum an sich halten konnten: "Ah! Oh!" - dazu Jubel und Applaus. Der Schiedsrichter bat fast minütlich um Ruhe ("Silence!"), an der Anzeigetafel wurde ein langes "Psssst" eingeblendet und sogar der brasilianische Coach Fabio Vasconcelos wand sich mehrere Male mit einer Mischung aus bitten und hadern an die Ränge. Sicher auch, weil sein Team dem Rückstand aus der 13. Minute lange hinterherlief.

Marokkaner verausgaben sich völlig

Drei Marokkaner am Boden, auch Strafstoß-Killer Samir Bara muss behandelt werden.

Nonato (17.) und Ricardinho (18.) scheiterten mit Strafstößen am marokkanischen Keeper Samir Bara, der den ersten selbst verursacht hatte, als er den Ball außerhalb seines Torraumes (5x2 Meter) aufnahm. Die Marokkaner liefen oft nur hinterher und verausgabten sich dabei. In der 22. Minute gab es eine kurze Pause, weil gleich drei Spieler am Boden waren und eine Behandlung brauchten. Zwei Minuten später war bereits die Grenze von vier Teamfouls pro Hälfte erreicht - und Cassio trat zum Achtmeter (sonst sechs Meter) an. Doch auch er scheiterte an Bara.

Dreierpack bringt den Sieg

Kurz nach der Pause hatten die brasilianischen Fans dann endlich wirklich etwas zu jubeln - und durften es auch. In der 31. Minute traf Ricardinho nach einem starken Solo zum 1:1, fünf Minuten später tat es ihm Jefinho gleich. Und nicht einmal eine Zeigerumdrehung später markierte Nonato mit Wucht den 3:1-Endstand. Der Kapitän und Jefinho wurden bei ihren Auswechslungen mit stehenden Ovationen und Sprechchören gefeiert. Nach dem Abpfiff ließen die Fans erst das ganze Team hochleben und dann auch noch die Marokkaner. Die Gastgeber zeigten sich von ihrer besten Seite. Nur an die "Ruhezeiten" müssen sie sich noch gewöhnen.