Prothesensprinter Johannes Floors (r.) © imago/mika

Deutsches Team

Dreimal Laufen lernen für die Sprintkarriere

von Florian Neuhauss, sportschau.de

Johannes Floors hat kürzlich "Jahrestag" gefeiert, so sagt er selbst. Den fünften Jahrestag der Amputation seines ersten Beines. 16 Jahre lang litt der gebürtige Niedersachse unter einer Fehlbildung seiner Unterschenkel und immer größeren Schmerzen. Mittlerweile ist der 21-Jährige ein Weltklasse-Prothesensprinter (Startklasse T44) und hat bei den Paralympics in Rio zumindest eine Medaille im Visier.

Ein sogenannter Fibula-Gendefekt machte Johannes Floors das Leben schwer. Seine Wadenbeine hatten sich nicht gebildet, die Füße wuchsen verkümmert und hatten nur drei Zehen. In seiner frühen Schulzeit musste er viel Spott und Beleidigungen ertragen. Viel schlimmer waren jedoch die körperlichen Schmerzen, die mit den Jahren immer stärker wurden. Wahrscheinlich wäre er irgendwann auf einen Rollstuhl angewiesen gewesen, das war für den Teenager aber keine Option.

Sportschau.de: Sie haben sich kurz vor ihrem 16. Geburtstag und ein halbes Jahr später die Unterschenkel amputieren lassen. Wie lange mussten Sie damals überlegen, hatten Sie Angst vor den Operationen?

Johannes Floors: Als ich meinen Eltern das erste Mal von meinem Wunsch erzählt habe, standen sie sofort hinter mir. Wir waren dann bei vielen Ärzten, aber da gab es keine einhellige Meinung. Es war meine Entscheidung. Ich wollte unbedingt etwas gegen die Schmerzen tun. Komischerweise hatte ich keine Angst, ich war einfach überzeugt von diesem Schritt.

Haben Sie sich denn alles Folgende so vorgestellt?

Floors: Es war die beste Entscheidung meines Lebens! Es hat sich alles positiv verändert. Ich habe keine Schmerzen mehr und kann mit meinen Prothesen jetzt viel mehr machen. Außerdem muss man schon sagen, dass ich vor der Operation komisch aussah: Ich war 1,60 Meter groß und hatte einen riesigen Oberkörper: Mit meinen Prothesen gehe ich jetzt sehr offen um. Ich trage auch im Alltag gern mal eine kurze Hose. Und seit der Amputation bin ich nicht mehr diskriminiert worden.

Prothesensprinter Johannes Floors © imago/mika

16 Jahre lang konnte Johannes Floors nicht richtig laufen - mittlerweile ist er mit seinen Sportprothesen verdammt schnell.

Sportlich war Floors schon vor der Amputation. Als Schwimmer vertrat er Deutschland bei der Junioren-WM 2010, wurde er mit der Freistilstaffel Zweiter, mit der Lagenstaffel Dritter. Sogar zum Sport-Abitur meldete er sich an, wohlgemerkt schon vor der ersten OP. Mit Alltagsprothesen spielte er dann Fußball, Hockey und Badminton. Später bekam Floors sogenannte Sportfüße, die er an die Prothesen schrauben konnte.

Sportschau.de: Fiel die Entscheidung, Sprinter zu werden, aus dem Bauch heraus, oder "musste" es Sprinten sein, weil Sie es so lange nicht konnten?

Floors: Diese Frage habe ich mir tatsächlich noch nie gestellt. Mein Ehrgeiz war aber wirklich geweckt und es gab früher ein Vorbild: Oscar Pistorius aus Südafrika. Ich wollte herausfinden, was ich alles machen kann. Ich habe die Welt mittlerweile aus einer anderen Perspektive und Geschwindigkeit kennen gelernt.

Dafür haben Sie es auch in Kauf genommen, dreimal Laufen zu lernen.

Floors (überlegt und lacht): Das habe ich so zwar noch nie gehört, aber man kann's wirklich so sagen. Als Kind habe ich erst relativ spät Laufen gelernt. Dann als ich 16 war und die Alltagsprothesen bekommen habe. Das war in Sachen Gleichgewicht und Krafteinsatz schon etwas ganz anderes als zuvor. Und dann eben mit den Sportprothesen. Um die zu nutzen, braucht man noch viel mehr Kraft und Koordination, um das Gleichgewicht zu halten. Ganz am Anfang bin ich eher wie ein Känguru gehüpft, als dass ich gelaufen wäre. Mittlerweile sieht das natürlich anders aus. Da es an den Prothesen aber nur einen Vorfuß gibt, kann man nicht still stehen, sondern muss die ganze Zeit trippeln - oder eben sprinten (lacht).

Die deutsche Sprintstaffel Markus Rehm (v.l.), David Behre, Felix Streng und Johannes Floors © picture alliance / Beautiful Sports Foto: Axel Kohring

Die deutsche Sprintstaffel mit Markus Rehm (v.l.), David Behre, Felix Streng und Johnnes Floors holte 2015 WM-Gold.

Im Jahr 2014 machte Floors sein Abitur - und lief bei der Leichtathletik-WM der Behindertensportler über 100 und 4x100 m auf Rang zwei sowie über 200 und 400 m auf Platz vier. Ein Jahr später holte sich der 19-Jährige bei den drei Einzelstarts bereits jeweils den Titel. Auch bei den Erwachsenen verdiente sich Floors, der eine Ausbildung zum Orthopädietechniker absolviert, erste Sporen: WM-Gold mit der 4x100-m-Staffel, Bronze über 400 m. Ganz groß auf drehte der Athlet des TSV Bayer 04 Leverkusen bei der EM 2016, als er über die 200 und 400 m sowie mit der Staffel siegte und über 100 m Bronze holte. Das volle Programm will er auch in Rio abspulen.

Sportschau.de: Wird für Sie mit der Teilnahme an den Paralympics ein Traum wahr?

Floors: Auf jeden Fall, für welchen Sportler denn nicht!? Für mich gilt das aber gleich in doppeltem Sinne. Meine Trainerin Sara Mezzi und ich wollten nämlich eigentlich die Spiele 2020 in Tokio angehen. Die Erfolge bei der WM 2015 kamen für uns beide sehr überraschend. Aber seitdem ist Rio mein Ziel.

Und was ist bei der ersten Teilnahme für Sie möglich?

Floors: Es hat keinen Sinn, dass ich mir Druck mache. Zum Auftakt laufe ich die 100 m, dabei kann ich mir schon mal angucken wie das Stadion, die Bahn und die Stimmung sind. Wie bei den 200 m will ich vor allem Spaß haben und genießen, dabei zu sein. Meine Konzentration gilt allerdings den 400 m - und mit der Staffel haben wir als Weltmeister gute Chancen auf eine Medaille.

Dieses Thema im Programm:

Sportschau live, 19.09.2016, 10.00 Uhr

Stand: 08.09.16 00:00 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge Volksrepublik China CHN 107 81 51
2. Flagge Großbritannien GBR 64 39 44
3. Flagge Ukraine UKR 41 37 39
4. Flagge USA USA 40 44 31
5. Flagge Australien AUS 22 30 29
6. Flagge Deutschland GER 18 25 14
7. Flagge Niederlande NED 17 19 26
8. Flagge Brasilien BRA 14 29 29
Stand nach 528 von 528 Entscheidungen.

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