Para-Segler Heiko Kröger © DBS Foto: Binh Truong

Interview

Segler Kröger: "Ein Armutszeugnis für Thomas Bach"

Heiko Kröger segelt in Rio auf Medaillenkurs. Nach den ersten Wettfahrten liegt der Hamburger auf dem Silberang. Der Zweite der Paralympischen Spiele in London ist nicht nur erfolgreich, sondern auch meinungsstark: Die Athleten sind laut dem 50-Jährigen für IOC und IPC nicht mehr als "Hilfsarbeiter", die Paralympics seien "eine Gesellschaft zweiter Klasse", die Spiele befänden sich "in einer Sackgasse" und IOC-Präsident Thomas Bach, der sich nach Olympia nicht mehr hat in Rio blicken lassen, stellt er "ein Armutszeugnis" aus.

Heiko Kröger, wo liegen die Unterschiede zwischen den Olympischen Spielen und den Paralympics?

Kröger: Es hat sich schon viel gebessert, aber die Unterschiede sind immer noch gewaltig. Die finanzielle Ausstattung der Paralympics ist eine ganz andere und in der Regel auch die Ausstattung der Athleten. Zum Beispiel wird der Flugbetrieb über dem Segelrevier anders als bei Olympia nicht eingestellt, während wir segeln. Außerdem gibt es in der Stadt keine Paralympic-Lanes mehr. Es ist schon alles deutlich reduzierter.

Hat sich denn mit den Jahren etwas verbessert?

Kröger: In den letzten Jahren hat sich schon einiges getan. Es hängt aber auch immer wieder vom Event selber ab. Hier in Rio haben wir sicher größere Probleme als vor vier Jahren in London. Da lief alles wie am Schnürchen. Es ist nun mal ein anderes Land, ein anderer Kontinent und eine ganze andere Welt.

Wo liegen denn hier die Probleme?

Kröger: Im Vorfeld haben wir hier trainiert und ziemlich viel Müll im Wasser entdeckt. Es sind auch Keime gefunden worden, die wirklich gefährlich sein können. Vor einem halben Jahr habe ich Filme von der Verschmutzung online gestellt, die um die Welt gingen, und lautstark Kritik geäußert. Es liegt sicher nicht daran, aber es hat sich doch einiges getan und verbessert. Der Müll im Wasser ist abgefischt, es ist nur noch vereinzelt was da. Was die Keime angeht, kann ich natürlich nichts sagen - die sieht man nicht.

IOC-Präsident Dr. Thomas Bach war selbst Sportler und weiß, wie wichtig es ist zu zeigen, dass man da ist - zum Beispiel bei den Paralympics. Er ist nicht da. Wie sehen Sie das in Bezug auf Wertigkeit und Bedeutung?

Kröger: Das ist ein Armutszeugnis. Vom einem Präsidenten des IOC erwarte ich, dass er sich bei solch einem wirklich wichtigen Event blicken lässt. Das lässt tief blicken. Die Wertigkeit der Paralympics steht offenbar vielen Dingen hinten an. Da muss man sich fragen, was gerade so wichtig ist, dass ich nicht nach Rio komme.

Auch aus medialer Sicht gibt es Unterschiede. Der Veranstalter produziert nicht zu allen Sportarten ein Übertragungssignal. Auch keines vom Segeln. Werden die Paralympicsas ein bisschen stiefmütterlich behandelt?

Kröger: Das ganze Media-Paket ist deutlich reduziert. Man sieht, dass hier viel weniger passiert als bei den Olympischen Spielen. Und auch in der deutschen Presse sind die Paralympics, wenn man die Schlagzeilen liest, nicht an Nummer eins. Das ist schon eine Gesellschaft zweiter Klasse. Wir finden es ganz toll, wenn die Paralympics auch ein bisschen turnen. Aber es ist in vielen Köpfen leider noch eine B-Liga.

Ballen Sie da die Faust in der Tasche?

Kröger: Es ist schon wirklich sehr schade. Man spricht von Inklusion, die man umsetzen muss - und ich frage mich immer: Wo ist das Problem? Dass das in den Köpfen erst wachsen muss, ist klar. Aber bestimmte Fakten, die man sofort schaffen kann, brauchen meines Erachtens nach viel zu lange. Wenn es nicht umgesetzt wird und es auch in den Köpfen nicht weitergeht, dauert es halt ewig, bis sich Inklusion in der Gesellschaft durchsetzt.

Erst recht, wenn man bedenkt, dass das IOC ja nicht der ärmste Verband auf der Welt ist. Wie sind da die Reaktionen?

Kröger: IOC und IPC sind sicherlich sehr gut aufgestellt. Das sind große und kräftige Unternehmen mit viel Geld. Aber sie müssen in Zukunft mehr auf uns Athleten eingehen. Wir sind die unbezahlten Hilfskräfte. Wir bekommen Medaillen umgehängt, aber auch nur drei. Es muss mehr Miteinander geben. Wir müssen mehr in den Vordergrund rücken. Und wenn man mal vorausblickt, muss auch in der Nachhaltigkeitsdiskussion mehr passieren. Ich glaube wir befinden uns in einer Sackgasse. Wenn es so weitergeht, wird es bald keine Olympischen und Paralympischen Spiele mehr geben.

Nach diesen Paralympics ist es mit dem Segeln vorbei, die Sportart gehört in Tokio nicht mehr zum Programm. Wie beurteilen Sie das?

Kröger: Das ist extrem schade, weil Segeln die inklusivste Sportart schlechthin ist. Wir Segler mit Behinderung segeln auf absolut gleichem Niveau wie die olympischen Segler. Wir segeln teilweise schon auf den gleichen Events chancengleich gegeneinander. Und das wird gestrichen, weil ein paar Nationen zu wenig auf der Welt diesen Sport aktiv betreiben. Das ist Quantität vor Qualität. Es ist sehr fragwürdig, ob man so eine Entscheidung wirklich fällen sollte. Wir müssen mal schauen, wie es weitergeht. Ob es 2024 wieder Paralympische Spiele im Segeln gibt, steht momentan in den Sternen.

Wie binden Sie Ihre sportlichen Erfolge in Ihr berufliches Leben ein?

Kröger: Dadurch, dass ich zeige, wie es geht, mit einer Behinderung Leistung zu bringen, habe ich eine Vorbildfunktion. Ich versuche in Deutschland, den Sport für Menschen mit Behinderung populärer zu machen und Vereine dazu zu bewegen, Segeln für Menschen mit Behinderung anzubieten. Und zwar inklusiv - mit den anderen zusammen. Ich möchte auch Noch-nicht-Segler animieren, doch einfach mal beim Segeln vorbeizukommen und sich das anzuschauen.

Für Sie sind es die letzten Paralympischen Spiele: Mit welchen Zielen treten Sie an?

Kröger: Ich trete ganz klar mit dem Ziel Medaille an - und die Farbe ist mir nicht egal. Aber wenn es Bronze wird, ist es auch gut. Es ist ein sehr, sehr hartes Feld. Trotzdem, eine Medaille muss her.

Das Interview führte Hendrik Deichmann, Sportschau

Dieses Thema im Programm:

Sportschau live, 19.09.2016, 10.00 Uhr

Stand: 14.09.16 18:46 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge Volksrepublik China CHN 107 81 51
2. Flagge Großbritannien GBR 64 39 44
3. Flagge Ukraine UKR 41 37 39
4. Flagge USA USA 40 44 31
5. Flagge Australien AUS 22 30 29
6. Flagge Deutschland GER 18 25 14
7. Flagge Niederlande NED 17 19 26
8. Flagge Brasilien BRA 14 29 29
Stand nach 528 von 528 Entscheidungen.

Alle Platzierungen | mehr