Hintergrund
Paralympics-Schütze Focken und das Trauma Afghanistan
von Andreas Bellinger und Boris Poscharsky
Als Fallschirmjäger wurde Tim Focken in Afghanistan schwer verwundet. Bei den Paralympics wird er als Sportschütze um Medaillen für Deutschland kämpfen. Die schlimmen Bilder vom Hindukusch belasten den Niedersachsen im Countdown für Tokio.
Sein großes Ziel sind die Paralympics - aber die Gedanken von Sportschütze Tim Focken sind momentan nicht in Tokio, sondern bei den Menschen in Afghanistan. "Es tut im Herzen sehr weh, das Leid, das sich dort abspielt." Dem 36-Jährigen vom Schützenverein Etzhorn ist im Videogespräch mit dem NDR anzumerken, wie sehr ihn die aktuellen Bilder von der Machtübernahme durch die Taliban und die Dramen, die sich insbesondere am Flughafen in Kabul abspielen, belasten. "Diese Tragik nimmt mich schon sehr mit."
Seine Worte lassen lediglich erahnen, wie die alarmierenden Nachrichten aus Afghanistan andere schlimme Bilder gnadenlos aus den hintersten Winkeln seines Gedächtnis hervorzerren. Ein Trauma, das der Soldat nach seiner schweren Verwundung aus dem Land am Hindukusch mit nach Hause ins niedersächsische Oldenburg gebracht hat.
"Erschüttert über das, was ich gesehen und gehört habe"
Eigentlich wollte Focken dieser mentalen Belastung konsequent aus dem Weg gehen. Wollte am kommenden Montag unbeschwert und fokussiert in den Flieger nach Japan steigen und auf dem paralympischen Schießstand erfolgreich sein. Den neuen Job so gut wie möglich erledigen. Deutschland als Sportler vertreten und vielleicht sogar eine Medaille gewinnen. "Das ist jetzt mein Auftrag."
"Es tut im Herzen sehr weh, das Leid, das sich dort abspielt." Tim Focken
Sieben Jahre hat er sich darauf akribisch vorbereitet, dem großen Ziel alles untergeordnet - auch die Familie musste zurückstecken. Doch am Dienstagmorgen ließen ihm die schrecklichen Ereignisse keine Ruhe mehr: "Da habe ich bei Kaffee und Müslischüssel doch die Nachrichten angesehen und war erschüttert über das, was ich gesehen und gehört habe."
Ein Kampfeinsatz ohne viel Kontakt zur Bevölkerung
Dabei ist es nicht so, dass sich Focken um viele einheimische Freunde und Bekannte sorgen müsste. "Es war eine Lage dort unten, die es uns nicht großartig ermöglicht hat, mit der Bevölkerung Kontakt aufzunehmen. Wir waren ja im Kampfeinsatz", erzählt er über seine Zeit in Afghanistan vor mehr als zehn Jahren. Als er einem Kind eine Flasche Wasser gegeben habe, weil es danach gefragt hatte, erinnert sich Focken stockend, habe er mitansehen müssen, wie das Kind aus Angst vor möglichen Folgen verprügelt wurde. "Es hätte jemand von den Taliban sehen können. Hochbrisant und gefährlich."
Focken: "Hoher Blutzoll, der gezahlt wurde"
Wie gefährlich, das bekam Focken am 17. Oktober 2010 selbst zu spüren. In einem kleinen Dorf nahe Kundus, das Aufständischen als Rückzugsort diente, wurde er angeschossen - und schwer verletzt nach Deutschland geflogen. "Bilder, die man nicht einfach löschen kann", sagte er in einem "Spiegel"-Beitrag. Zwei Metallplatten halten seither seine durchschossene linke Schulter zusammen, der linke Arm ist teilweise gelähmt. Er ist immer noch Soldat, aber nun eben auch ein paralympischer Sportler, der seine Sicht auf die Mission in Afghanistan hat: "Mein persönliches Gefühl ist, dass es umsonst war. Höchst tragisch ist vor allem aber der hohe Blutzoll, der gezahlt wurde."
Ausblenden klappt nicht immer
Unverändert sei eine tiefe Bindung und auch der Kontakt zu Kameradinnen und Kameraden, die immer wieder zu Einsätzen gefahren sind. "Aber alles, was zu belastend ist und nicht zielführend, um erfolgreich zu sein im Sport, muss man irgendwie ausblenden." Das ist ihm vor Tokio nicht gelungen, mit der Folge, dass "die Ereignisse wieder hochkommen, die Gedanken, wenn Kameraden sterben", sagt Focken. "Aber ich habe mit der Zeit gelernt, damit umzugehen, habe Mechanismen, die mir in solchen Situationen helfen."
Am Freitag soll sein Countdown für die Paralympics starten. Dann gilt der Fokus nur noch den Wettkämpfen auf dem Schießstand - mit dem Luftgewehr und Kleinkaliber, mit dem er 2019 WM-Vierter geworden war. Athletinnen und Athleten aus Afghanistan wird Focken in Tokio nicht treffen. Die zwei ursprünglich gemeldeten Starter können aufgrund der chaotischen Zustände in dem krisengeschüttelten Land nicht nach Japan reisen.
Stand: 18.08.21 10:30 Uhr
Medaillenspiegel
Platz | Land | G | S | B | |
---|---|---|---|---|---|
1. | CHN | 96 | 60 | 51 | |
2. | GBR | 41 | 38 | 45 | |
3. | USA | 37 | 36 | 31 | |
4. | RPC | 36 | 33 | 49 | |
5. | NED | 25 | 17 | 17 | |
6. | UKR | 24 | 47 | 27 | |
7. | BRA | 22 | 20 | 30 | |
8. | AUS | 21 | 29 | 30 | |
... | |||||
12. | GER | 13 | 12 | 18 |
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