Meine Aufgabe in Rio: Ich soll mit meiner Erfahrung und meinem Wissen bestimmte Dinge erklären und dem Zuschauer die Verhaltensweisen der Athleten erläutern. Manchmal gleicht das einem Blick in die Sterne und die Glaskugel.
Die Box, in der ich mit Claus Lufen in der Mixed-Zone stehe, ist wirklich klein, mitunter kuschelig, und nicht selten stehen wir drei bis vier Stunden drin.
Freunde beneiden mich um den direkten Blick auf die Stars der Leichtathletik. Zum Beispiel kann ich direkt die neu eingeführte Mixed-Staffel beobachten - kleiner Scherz am Rande. Über Krampfadern lacht man nicht, und natürlich gibt es in der Leichtathletik keine gemischten Wettbewerbe. Das Foto musste ich trotzdem machen ...
Aber auch ein Hauch von Hollywood weht durch die bestimmt 200 Meter lange Mixed-Zone, in der die Journalisten auf Interviews mit den Olympioniken warten. Das (US)A-Team mit B.A. Baracus gibt sich die Ehre und soll den jamaikanischen Halunken einen Goldschatz entreißen.
Doch die Anwesenheit in der Box hat auch ihre Nachteile. Dieses Foto, das zeigt, wie Claus Lufen und ich quasi verdampfen, hatte ich bereits vor einigen Tagen geschickt.
Morgens gleicht der Platz in der Sonne im Olympiastadion in Rio einer Freiluftsauna. Wir tun alles und föhnen kräftig, damit meine Achselfrisur nicht das T-Shirt verfärbt.
Da haben es die Athleten nicht viel leichter, sie müssen in der Sonne bei Temperaturen von bis zu 34 Grad Celsius Sport treiben. In der Mixed-Zone wird kurzerhand der schwarze Kunststoff gewässert, damit sie sich beim Interview-Halt nicht die Füße verbrennen.
Warum riecht es hier eigentlich manchmal etwas streng? Anfangs glaubte ich, dass es sich um Schweiß und Tränen handelt, jetzt bin ich mir aber nicht mehr so sicher. Vielleicht ist es auch einer dieser köstlichen Double-Cheeseburger, die im Stadion für etwa fünf Euro verkauft werden. Aufgrund seiner silbernen Verpackung erinnert er ein wenig an Astronautennahrung. Und weil ich mir den Magen nicht daran verdorben habe, ist es das wohl auch.
Usain Bolt muss sich sicherlich nicht mit so einem pappigen Kram rumschlagen. Trotz eines geschätzten Jahreseinkommens von 30 Millionen US-Dollar bekommt der im olympischen Dorf die Burger auch noch umsonst. Und die Medaillen bekommt er auf einem Silbertablett serviert. Etwa 45000 Zuschauer kommen ins Stadion, um ihn zu sehen. Und damit die Journalisten nicht die bezahlten Plätze belegen, wird genau abgezählt - aber ich bin dabei mit meiner Einladung bei der Bolt-Party. Seine Anhänger skandieren lautstark "Usain Bolt, Usain Bolt", ähnlich ohrenbetäubend habe ich das bisher nur bei den Kreiscrosslaufmeisterschaften 1984 gehört, als Tante Edith immer "Auf geht's, Frank!" gerufen hat.
Aber Rio ist auch ein Ort der Ruhe. In manchen Momenten macht man einfach nix. Warten ist angesagt. Und solange man nicht selbst fahren muss und dem Fahrer vertraut, ist das ein Moment der Besinnung. Ganz gleich, ob im Bus, im Stau, während der Liveübertragung, im Stau - ach, das hatten wir schon. Kam aber öfter vor ...
Die Veranstalter spielen in den Pausen mit der Kiss-Cam. Die Stimmungscharts sehen wie folg aus: Auf Platz 1: Usain Bolt kommt und macht Faxen, die Leuten rasten aus. Platz 2: Ein Brasilianer kommt. Die müssen nix machen, die Leute rasten trotzdem aus. Und dann Platz 3: Die Kiss-Cam. Die Kamera sucht immer zwei Menschen, die auf der Videoleinwand zu sehen sind, und die sollen sich dann küssen. Ein klein wenig Gruppendruck ist schon dabei. Mit Zunge, Ü70 und Männerküsse kommen am besten an.
Aber eigentlich will ich nicht knutschen (auf Claus und mich schwenkt die Kiss-Kamera übrigens nicht), sondern rechnen. Ich bin 41 Jahre alt, ein Kind der Siebziger, da rechnet man Mehrkämpfe per Hand aus. Oldschool. Grüne Punktetabelle und Statistik-Bibel. Und nicht mit so neumodernem Schnickschnack wie App und Pad. Das ist so ein raffiniertes, ausgeklügeltes System, dass ich nach neun Disziplinen schon die Medaillenplätze vorhersagen kann. Okay, ein bisschen besser bin ich schon: nach acht Disziplinen ;-)
Was ich definitiv nicht kann, ist Beachvolleyball spielen. Zum Abschluss habe ich noch einen wirklich schönen Termin mit Karla Borger und Britta Büthe. Am Strand vor dem Deutschen Haus baggere ich rum und fische geschmeidig wie ein Achtkämpfer jeden Ball vom Boden. Die Brasilianer sind komplett geflasht und zücken ihre Fotoapparate. Da denken doch manche, dass die beiden anderen deutschen Spielerinnen (die mit der Goldmedaille) hier zugegen sind. Vielleicht glauben sie aber auch, dass der Baumann die Laufbahn gegen den Strand eingetauscht hat. Aber in Wahrheit geht es um den Typen im Hintergrund: Indiana Jones.
So, das war er, der kleine Blick in mein Fotoalbum. Er kann natürlich nicht im Entferntesten zeigen, was hier wirklich passiert ist. Manchmal war es lustig, zuweilen auch verwunderlich, aber meistens vor allem olympisch.