Die Schattenseite: Skandale, Fehlurteile, Boykotte
1908 in London gewinnt der Schotte Wyndham Halswelle Gold über die 400 Meter, Konkurrenten hat er im Endlauf nicht. Wie kommt es dazu? Im Finale zwei Tage zuvor tritt Halswelle gegen drei US-Amerikaner an. Es kommt zu Rempeleien, John Carpenter wird disqualifiziert, das Rennen neu angesetzt. Carpenters Landsmänner William Robbins und John Taylor boykottieren die Wiederholung, weil das Manöver nach US-Regeln erlaubt gewesen sei.
Halswelle geht allein auf die Strecke. Sein Sieg ist die einzige Entscheidung in der Olympia-Geschichte, in der ein Athlet sich ohne Gegner die Goldmedaille sichert.
Der US-Amerikaner Jim Thorpe holt 1912 überlegen Gold im Zehn- und Fünfkampf. Doch in seiner Heimat ist er kein Held, sondern ein Außenseiter. Denn Thorpe ist Indianer. Als bekannt wird, dass Thorpe für Einsätze beim Baseball etwas Geld kassiert hat, wird ihm der Amateurstatus aberkannt. Seine Erfolge und Rekorde werden annulliert. Erst 1983, 30 Jahre nach seinem Tod, wird Thorpe rehabilitiert und nachträglich wieder zum Olympiasieger erklärt.
Finnlands Lauflegende Paavo Nurmi will 1932 in Los Angeles seine Sammlung von bislang neun Gold- und drei Silbermedaillen weiter vergrößern. Doch der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) will Nurmi nicht starten lassen. Durch eine zu hohe Reisekostenabrechnung habe er den Amateurstatus verletzt. Da in Sigfrid Edström ein Schwede IAAF-Präsident ist, vermuten viele eine politisch motivierte Entscheidung. Nurmi reist trotzdem in die USA und trainiert sogar im Athletendorf für die Wettbewerbe. Doch selbst die Fürsprache seiner Gegner ändert nichts an seinem Startverbot. Nurmi ist bei den Spielen von Los Angeles nur Zuschauer und zieht sich verbittert vom aktiven Sport zurück.
Kurz vor den Spielen 1956 in Melbourne schlagen sowjetische Truppen die Demokratiebewegung in Ungarn blutig nieder. Als es im Wasserball-Turnier zum Spiel Ungarn - UdSSR kommt, gerät die Partie außer Kontrolle. Die Stimmung ist ohnehin schon aufgeheizt, als der Ungar Ervin Zador nach einem Ellenbogencheck stark blutet. Zuschauer bedrohen die sowjetischen Spieler, die Situation droht zu eskalieren. Der Schiedsrichter bricht das Spiel beim Stand von 4:0 für Ungarn ab. Die internationale Presse berichtet vom "Blood in the Water Match". Ungarn verteidigt später mit einem 2:1 über Jugoslawien seinen Titel. Zahlreiche Spieler kehren nach dem Olympiasieg aber nicht in ihre Heimat zurück.
Das Finale bei den Spielen 1972 in München gehört zu den umstrittensten der Basketball-Geschichte. Die USA führen Sekunden vor dem Ende mit 50:49 gegen die UdSSR. Die Sowjets vergeben ihre vermeintlich letzte Chance. Doch mitten im Jubel der US-Boys entscheidet das Schiedsgericht, dass die Uhr falsch gestellt gewesen sei. Die UdSSR bekommt noch einmal den Ball und drei Sekunden Zeit. Alexander Below erzielt mit der Schluss-Sirene den entscheidenden Korb. Erstmals geht Olympia-Gold nicht an die Amerikaner, die am nächsten Tag der Siegerehrung demonstrativ fernbleiben.
Südafrika ist in den 1970er-Jahren aufgrund seiner Apartheid-Politik international geächtet. Auch Sportbeziehungen zu anderen Ländern gibt es kaum. Die Rugby-Nationalmannschaft ist jedoch noch nicht vollkommen isoliert. 1976 reisen die "All Blacks" - Neuseelands berühmtes Nationalteam - zu einer Tour nach Südafrika. Es hagelt heftige Proteste. Zahlreiche afrikanische Nationen fordern Neuseelands Ausschluss von den Sommerspielen in Montreal. Das IOC lehnt mit der Begründung ab, Rugby sei kein olympischer Sport. 22 afrikanische Ländern boykottieren deshalb die Spiele in Montreal. Vor allem das Niveau der Langstrecken-Wettbewerbe in der Leichtathletik leidet unter dieser Entscheidung.
Der Moderne Fünfkämpfer Boris Onischtschenko manipuliert 1976 in Montreal seinen Degen. Im Mannschaftswettkampf wundern sich die Briten, warum in den Fecht-Duellen mit Onischtschenko die elektronische Trefferlampe aufleuchtet, obwohl der Polizeimajor aus Kiew seinen Gegner erkennbar nicht getroffen hat. Eine Untersuchung löst das Rätsel: Onischtschenko hat an seiner Waffe einen zusätzlichen Kontaktknopf angebracht, den er mit dem Ringfinger betätigen kann. So löst er das Trefferlicht beim Gegner aus. Die Gaunerei wird entdeckt, das Team der UdSSR disqualifiziert und Onistschenko lebenslang gesperrt.
Eine reine Sportveranstaltung frei von Politik ist Olympia nie, auch Boykotte einzelner Nationen gibt es bereits vor den Spielen 1980 in Moskau. Doch der Kalte Krieg treibt die Instrumentalisierung Olympias auf die Spitze. Ende 1979 marschieren sowjetische Truppen in Afghanistan ein, die USA nehmen die Invasion zum Anlass, ihre Teilnahme an den Spielen in Moskau abzusagen. 63 Nationen schließen sich den USA an, auch die Bundesrepublik schickt keine Athleten in die UdSSR. Nur 81 Staaten nehmen an den Olympischen Spielen 1980 teil, die geringste Zahl seit Melbourne 1956.
Die Antwort der Sowjetunion auf den Boykott der USA folgt vier Jahre später. Los Angeles hat den Zuschlag für die Sommerspiele 1984 erhalten. Zwischen den Supermächten gibt es Spannungen um Akkreditierungen und Visa, die Sowjets monieren mangelnde Sicherheitsgarantien. Zweieinhalb Monate vor der Eröffnungsfeier verkündet die UdSSR ihren Teilnahme-Verzicht. 18 Staaten, unter ihnen auch die DDR, schließen sich dem Boykott an. Rumänien, Jugoslawien und China schicken hingegen Athleten in die USA, insgesamt nehmen 6.797 Sportler aus 140 Nationen an den Wettbewerben teil.
Ben Johnson gewinnt 1988 den 100-Meter-Sprint und stellt einen Fabelweltrekord auf. Nach 9,79 Sekunden stoppt die Uhr in Seoul. Noch nie zuvor ist ein Duell auf der Tartanbahn derart angeheizt worden wie der Zweikampf zwischen dem Kanadier Johnson und US-Star Carl Lewis. Schon 1987 in Rom hat Johnson Lewis im WM-Endlauf geschlagen. Zwei Tage nach dem Rennen ist die Sportwelt geschockt: Johnson wird des Dopings überführt und disqualifiziert. Es ist der spektakulärste Dopingfall der Sportgeschichte. Lewis erhält später nachträglich Olympia- und WM-Gold. Doch auch hinter seinen Leistungen stehen Fragezeichen. Kurz vor den Spielen in Seoul sollen positive Dopingtests des Superstars vertuscht worden sein.
Das olympische Box-Turnier in Seoul 1988 wird von krassen Fehlentscheidungen geprägt. Am deutlichsten wird dies im Finale des Halbmittelgewichts. Roy Jones Jr. verprügelt den südkoreanischen Lokalmatatoren Si-Hun Park nach allen Regeln der Boxkunst. Alle Experten sind sich sicher: Jones hat Gold gewonnen. Es folgt eines der größten Skandal-Urteile der Box-Geschichte. Park gewinnt mit 3:2-Richterstimmen. Der Südkoreaner schaut ungläubig und fast entschuldigend zu Jones und kann sein Glück kaum fassen. Der US-Amerikaner bricht in Tränen aus. Auch die Wahl zum besten Boxer des Turniers kann ihn nicht trösten. Später feiert Jones als Profi große Erfolge. Die drei Punktrichter, die Park zum Sieger machen, werden nach den Spielen von Seoul suspendiert.
2004 kehrt Olympia zurück nach Athen. Die sportlichen Hoffnungen der Hellenen liegen auf den Sprintern Kostas Kenteris (200-m-Olympiasieger von Sydney) und der amtierenden 100-m-Europameisterin Ekaterina Thanou. Doch noch vor der Eröffnung haben die Spiele ihren ersten Skandal. Am Abend vor der Eröffnungsfeier erscheint das Duo nicht zu einer Dopingprobe. Die Athleten erhalten eine Frist von zwei Stunden, um die Kontrolle nachzuholen. Auch diese verpassen Kenteris und Thanou. Die Sprinter befinden sich nach einem angeblichen Motorradunfall im Krankenhaus. Das Duo muss auf einen Start in ihrer Heimat verzichten und wird später für zwei Jahre gesperrt.
Chinas Turnerinnen gewinnen 2008 in Peking sechs Medaillen. Was die Gastgeber begeistert, sorgt bei den Konkurrenten für Argwohn. Die Gretchenfrage lautet: Sind die Chinesinnen tatsächlich schon 16 Jahre alt, wie es das Reglement des IOC fordert? Vor allem die zweifache Goldmedaillen-Gewinnerin He Kexin (M.) wirkt deutlich jünger. Sie ist 1,42 m groß und wiegt lediglich 33 kg. Es gibt Indizien, dass He Kexin und ihre Teamkollegin Jiang Yuyuan zwei Jahre älter gemacht wurden, doch bewiesen wird die vermeintliche Manipulation nicht.
Angel Valodia Matos aus Kuba siegt bei der Olympia-Premiere des Taekwondo 2000 in Sydney in der Klasse bis 80 kg. Acht Jahre später in Peking gehört er ebenfalls zu den Favoriten und kämpft sich bis ins Halbfinale. Dort liegt er gegen Arman Chilmanov aus Kasachstan mit 3:2 in Führung, verletzt sich dann jedoch am Fuß. Da er nicht vor dem Ende der vorgegebenen Behandlungszeit wieder kampffähig ist, wird Matos von Kampfrichter Chakir Chelbat (Schweden) disqualifiziert. Der Kubaner protestiert lautstark und lässt sich zu einer unglaublichen Aktion hinreißen. Als Chelbat das Urteil verkündet, tritt Matos den Kampfrichter ins Gesicht. Die Folge: Disqualifikation sowie eine lebenslange Sperre.
In London 2012 werden vier Doppel in der Badminton-Konkurrenz disqualifiziert. Um gegen vermeintlich leichtere Gegner in der K.o.-Runde zu spielen, versuchen die Teams, absichtlich Matches in der Gruppenphase zu verlieren. Der Badminton-Weltverband beruft sich auf sein Statuten, nach denen alle Sportler "ihr Bestes" geben müssen, und schließt die vier Doppel von den Spielen aus.