Priester, Oma, Drillinge: Besondere Sportler in Rio
Zum ersten Mal in der Geschichte der Olympischen Spiele wird in Rio eine aus Flüchtlingen bestehende Mannschaft an den Wettkämpfen teilnehmen. Zehn Athleten starten unter olympischer Flagge, unter anderem Schwimmerin Yusra Mardini aus Syrien.
Sie ist das Küken bei den Olympischen Spielen am Zuckerhut: Gaurika Singh, zarte 13, geht als jüngste Starterin in die Geschichte ein. Die Schwimmerin kommt aus Nepal, lebt aber seit elf Jahren in England. In ihre alte Heimat kehrt sie regelmäßig zurück. Auch im April 2015 während des schweren Erdbebens, bei dem fast 9.000 Menschen starben, war die Schülerin gerade in Nepal. Sie blieb bei der Katastrophe unverletzt. "Gott sei Dank war es ein neueres Gebäude, sodass es nicht wie alle umliegenden Häuser zusammenbrach", erzählt Singh, die über 100 Meter Rücken startet.
Mary Hanna könnte locker Singhs Oma sein. Beim Start der Dressur-Wettbewerbe am 10. August wird die Reiterin 61 Jahre und 253 Tage alt sein. Damit ist die Australierin die älteste Teilnehmerin in Rio. Allerdings ist Hanna, die zum fünften Mal an Olympischen Spielen teilnimmt, in der "ewigen" Olympia-Rangliste nicht ganz vorn dabei. Der schwedische Sportschütze Oscar Swahn war 1920 mit stolzen 72 Jahren bei den Sommerspielen von Antwerpen.
Die Ukraine schickt eine Mannschaft von Springreitern nach Rio, die herzlich wenig mit dem Land selbst zu tun haben. Gebürtige Ukrainer sind gar nicht dabei, stattdessen startet ein Legionärs-Quartett, zu dem mit René Tebbel (links) und Ulrich Kirchhoff auch zwei Deutsche gehören. Dazu kommen ein Brasilianer und ein Ungar. Der einzige ukrainische Reiter im Team war bisher Multimillionär Alexander Onischtschenko, der sich selbst nominierte, meist aber für das Streichergebnis sorgte. Er kaufte über Jahre teure Pferde und Reiter, steckt momentan aber in Schwierigkeiten und musste seine Heimat nach Korruptionsvorwürfen verlassen. Weil die Beschlagnahmung der Pferde drohte, half Paul Schockemöhle, der in London 2012 Coach der Ukraine war. Er soll 44 Vierbeiner gekauft haben.
Auch Triathlet Thomas Springer ist in Rio nicht für sein Heimatland dabei. Der gebürtige Hallenser hat seit 2010 die gleiche Staatsbürgerschaft wie Lebensgefährtin Veronika: Springer startet für Österreich. Dabei war die Karriere des deutschen Meisters von 2009 beinahe schon vorbei. Kurz nachdem er die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, brach er sich in
einem Rennen den Oberschenkel-Hals. Trotz einer verunglückten
Operation kämpfte er sich zurück und ist nun einer der Hoffnungsträger Österreichs.
Drei Jahre nach einem Lungenriss geht für Judoka Simon Yacoub (weiß) ein Traum in Erfüllung. Der 27-Jährige, der in Leipzig geboren wurde, ist einer von sechs Palästinensern, die in Brasilien starten dürfen. Yacoub hat zwei Staatsbürgerschaften. Sein Vater stammt aus Palästina. Für den Olympiatraum investierte der Sportler vom Judoclub Leipzig viel. Er überwand bürokratische Hürden, durfte als einziger Judoka aus Palästina in der Olympia-Qualifikation starten und investierte 15. 000 Euro für Trainingslager und Wettkampfreisen. Die Strapazen haben sich gelohnt. Mit einer Wildcard darf der 60-Kilo-Mann auf die Olympiamatte.
Auch der deutsche Dressurreiter Christian Zimmermann startet für Palästina, ein Land, das von Deutschland - anders als vom IOC - nicht einmal anerkannt wird. Der 54 Jahre alte Kölner Hobbyreiter wurde vor knapp zehn Jahren von Freunden aus Palästina gefragt, ob er sich einen Länderwechsel vorstellen könne. Seit 2013 wird er beim Reit-Weltverband FEI als Palästinenser geführt. Dank der Quotenregelung von IOC und FEI erhielt er ein Rio-Ticket. Als Deutscher unmöglich, denn die Wertungen, die er bisher mit seinem elfjährigen Wallach Aramis erzielt hat, würden bei einer deutschen Meisterschaft den letzten Platz bedeuten.
Estland schickt ein Marathon-Trio zu den Spielen. Das Außergewöhnliche: Lily, Liina und Leila Luik sind Drillinge - ein Novum in der über 100-jährigen Olympia-Geschichte. Leila liegt mit einer Bestzeit von 2:37:19 Stunden in der Familien-Wertung vorn.
Ein Turner - vier Länder: Oskar Kirmes hat eine schwedische Mutter, einen estnischen Vater, wurde in Island geboren und startet für Finnland. Die Eltern des 20-Jährigen waren auch Turner, lernten sich in Finnland kennen und heirateten. Danach zogen sie in die isländische Hauptstadt Reykjavik, wo Kirmes geboren wurde. Als Oskar 12 war, zog die Familie nach Schweden. Bis Anfang 2013 startete er für das schwedische Team. Dann entschied er sich, für Finnland zu turnen.
Turner gehen offenbar häufiger besondere Wege. Eine spezielle Geschichte hat auch Oksana Chusovitina. Die in Bergisch Gladbach lebende "Turn-Oma" ist 41 und bestreitet ihre siebten Olympischen Spiele. Als sie 1992 in Barcelona in der Riege der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) Team-Gold gewann, waren nahezu alle ihre heutigen Rivalinnen noch nicht einmal geboren. Ab 2006 startete sie für Deutschland, seit 2013 wieder für ihre Heimat Usbekistan. Das Sprungwunder arbeitet übrigens als Nachwuchstrainerin in Deutschland.
Der Tag für den Kanuten Kazuki Yazawa beginnt nicht mit Sport, sondern mit Gebeten. Der Japaner ist streng gläubig und buddhistischer Priester im Zenkoji Daikanjin Tempel in Nagano. Bei den Olympischen Spielen vor vier Jahren in London war Yazawa im Kajak-Slalom Neunter geworden, doch vom Sport allein konnte er nicht leben. Er beschloss, Priester zu werden und nur noch als Hobby-Kanut zu paddeln. Obwohl er nur noch in der Freizeit unterwegs ist, gewann er 2015 die japanischen Slalom-Meisterschaften - und löste sein Ticket für Olympia.
Mourad Laachraoui kommt aus Belgien, ist Taekwondo-Kämpfer und bei den Olympischen Spielen wahrscheinlich nur als Sparringspartner im Einsatz. Nichts Außergewöhnliches, möchte man meinen, angesichts der Riege der olympischen Superstars. Und doch steht der 21-Jährige in Rio im weltweiten Fokus: Sein Bruder hat sich beim Anschlag auf den Brüsseler Flughafen am 22. März dieses Jahres in die Luft gesprengt und war wohl auch als Bombenbauer an den Terrortaten am 13. November 2015 in Paris beteiligt.
Die Fechterin Ibtihaj Muhammad wird in Rio als erste praktizierende Muslima aus den USA bei Olympischen Spielen starten. "Es ist ein schwieriges politisches Umfeld. Ich denke, dass Muslime derzeit generell unter Beobachtung stehen, aber ich hoffe, dass ich das Bild ändern kann, das die Leute von einer Muslima haben", sagt Muhammad, die in den USA geboren wurde und aufgewachsen ist. Sie betreibt ihr eigenes Modelabel "Louella" und gehört mit dem Säbel-Team zu den Medaillenkandidatinnen.
Erfolge im Sport sind in jedem Alter möglich. Das beweist gerade Janice Teixeira aus Brasilien. Die Sportschützin feiert mit 54 Jahren ihr Olympia-Debüt. Und das ist schon ein kleines Wunder. Bei den Spielen in Peking 2008 erlitt sie als Kommentatorin für einen brasilianischen TV-Sender einen Schlaganfall. Seitdem esse sie besonders viel Obst, rauche und trinke nicht. Sie kämpfte sich zurück und ist die älteste Athletin im brasilianischen Olympia-Team.
Die Brasilianerin Joana Costa hatte schon Tickets für das Stabhochspringen gekauft, doch die musste sie wieder abgeben. Sie ist als Athletin mittendrin. Die 35-Jährige qualifizierte sich völlig überraschend durch einen Sprung über 4,50 Meter Anfang Juli für den Wettbewerb. "Ich bin so glücklich. Davon habe ich mein ganzes Leben geträumt", sagt Costa. Und die Tickets? Fanden in der Familie reißenden Absatz.
Dipa Karmakar hat sich als erste indische Turnerin der Geschichte für Olympia qualifiziert und muss mittlerweile in ihrer Heimat Autogramme geben und für Selfies in Handykameras lächeln. Karmakar ist zudem bekannt für ihre waghalsigen Elemente, sie riskiert sehr viel. "Mein erstes Ziel ist es, ins Finale zu kommen", sagt sie.
Die 27-jährige albanische Mittelstreckenläuferin Luiza Gega muss in Tirana im Park trainieren, weil es kein Stadion mit Laufbahn gibt. Trotzdem ist sie pfeilschnell. Mit einem Scheck über 1.000 US-Dollar ermöglichte ihr das IOC im Januar ein Trainingslager in Kenia. Bei der EM in Amsterdam lief sie zur Silbermedaille über 3.000 Meter Hindernis.