Turnen
Hambüchen und das lange Warten auf Gold
von Bettina Lenner, sportschau.de
Zum vierten Mal stand Fabian Hambüchen in Rio in einem olympischen Reck-Finale. In den letzten 45 Sekunden seiner glanzvollen Karriere gelang dem Wetzlarer nun die Krönung - Gold!
Auf Fabian Hambüchen nach seinem Goldcoup in der Interview-Zone zu warten, war ein bisschen wie in Rio Bus fahren - es dauerte. Siegerehrung, Gratulationen, Medienmarathon: Der 28-Jährige war nach seinem goldenen Schlusspunkt zum Karriereende der Mann der Stunde in der Rio Olympic Arena. "Das ist unbeschreiblich. Ich kann kaum in Worte fassen, was hier heute passiert ist", sagte Deutschlands Reck-Riese, nachdem er mit der allerletzten Flug-Show auf internationaler Bühne endlich den Turn-Olymp erklommen hatte. Bronze 2008 in Peking, Silber vor vier Jahren in London und Verletzungsprobleme im Vorfeld von Rio - es schien, als bliebe dem erfolgreichsten deutschen Turner der Geschichte der größte Triumph versagt.
Warten "war brutal"
Als erster der acht Finalteilnehmer war Hambüchen an der Reihe, wirbelte an seinem Paradegerät spektakulär durch die Luft - eine perfekte Übung, mit 15,766 Punkten belohnt. "Die Anspannung war schon groß. Aber ich habe mir gesagt, 'Junge, es ist das letzte Mal, du musst dir überhaupt keinen Kopf machen, genieß' es'", schilderte er. Nun hieß es zittern und warten. "Das war brutal, da gehst du durch die Hölle, wenn du sieben Leute abwarten musst und weißt, dass jeder mit einer perfekten Übung an dir vorbeigehen kann", erzählte er.
Zonderland riskiert zuviel und stürzt ab
Unruhig tigerte Hambüchen hin und her, musste mit ansehen, wie Top-Favorit und London-Olympiasieger Epke Zonderland aus den Niederlanden zu viel riskierte und abstürzte. "Ich bin der Letzte, der sich dann freut. Vor allem weil der Absturz nicht ganz ungefährlich war", sagte der Wetzlarer: "Es wird generell im Turnen teilweise zu riskant, die Entwicklung ist nicht ganz in Ordnung so. Wir haben viel Zeit hier zusammen verbracht, er war auch im Vorfeld verletzt und wir haben uns gegenseitig gewünscht, dass wir es noch einmal hinkriegen.“
Ein lang gehegter Traum wird wahr
Der "Turn-Professor", der mit fünf Jahren erstmals unter den Fittichen seines Vaters Wolfgang an die Geräte gegangen war und schon als Junior zu den besten deutschen Turnern gehörte, kriegte es noch einmal hin - und erfüllte sich am Zuckerhut einen lang gehegten Traum, an den er vor wenigen Monaten noch nicht zu denken gewagt hatte. Eine hartnäckige Schulterverletzung gefährdete die vierte Olympia-Teilnahme in seiner langen und erfolgreichen Karriere. "Gesundheit geht vor", sagte der Sportstudent. Doch Ende Juni wurde der Weltmeister von 2007 bei den deutschen Meisterschaften in Hamburg überraschend Sieger am Boden und Reck - und entschied sich für den Start in Rio.
Zweiter deutscher Reck-Olympiasieger nach Wecker
"Ich bin zu den Spielen gereist, um noch einmal Olympia zu erleben. Dann habe ich das Reckfinale erreicht und war unglaublich glücklich darüber. Mit Gold habe ich nicht gerechnet", bekannte der 40-malige deutsche Meister, an dessen hohe Wertung schon im Vorkampf kein Konkurrent heranreichen konnte. Sein Glück nach dem langen Warten auf olympisches Gold war unendlich: "Es ist die Erfüllung eines Traums. Es hätte auch ein Traum bleiben können, aber jetzt habe ich einen total runden Abschluss gefunden", jubelte der erst zweite deutsche Olympiasieger am Reck nach Andreas Wecker in Atlanta 1996.
Ein bisschen Wehmut ist dabei
Nicht zuletzt wegen der Blessuren an der Schulter beendet der sechsfache Europameister jetzt seine internationale Karriere, lediglich in der Bundesliga turnt er eventuell noch einmal: "In so einem Moment denkst du, du kannst noch 100 Jahre turnen. Aber man darf nicht vergessen, wie die letzten Monate teilweise waren. Und das Erwachen morgen früh wird wohl auch nicht schmerzfrei sein", meinte er. Ein bisschen Wehmut sei dabei: "Zwischendurch kam mal der Gedanke, auch bei der Hymne. Aber so kann man definitiv abtreten."
Das Gold-Reck darf er behalten
Sein "Gold-Reck" von Rio darf Hambüchen behalten, es wird ihm vom Hersteller geschenkt und in die Trainingshalle nach Wetzlar geliefert. Dort wird es dann aufgestellt, der Olympiasieger will es signieren - und den deutschen Turn-Nachwuchs damit zusätzlich motivieren. "Das ist der Wahnsinn. Ich freue mich riesig und weiß diese nette Geste zu schätzen", sagte er. Noch in der Arena hatte er den "Blitzgedanken gefasst, dass ich das Reck haben muss".
"Ich bin wie ich bin"
27 internationale Medaillen hat Hambüchen gesammelt, nun will er sein "Studium durchziehen und dann bin ich mal gespannt, was ich in Zukunft mache". Im Herbst nimmt er zunächst einmal einen Lehrer-Job am Koblenzer Asterstein-Gymnasium an: "Vor und nach den Herbstferien werde ich dort als Vertretungslehrer eingesetzt. Den Job hat mir ein Kumpel vermittelt, und ich werde das als Praktikum nutzen." Sein Leben wird anders. Aber er selbst, sagt der Ausnahmeathlet, werde sich nach dem Olympiasieg nicht verändern: "Ich bin wie ich bin." Locker, sympathisch, schlagfertig. Auf so jemanden wartet man doch gern.
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Impressionen
Hambüchen: Vom "Turnfloh" zum Olympiasieger
Stand: 17.08.16 16:37 Uhr