Der deutsche Para-Leichtathlet Johannes Floors in Aktion beim 400m Lauf (T62). © imago images/Beautiful Sports Foto: Marcus Hartmann

Leichtathletik

Paralympics: Sprinter Floors fehlt nur noch die Zeit von Pistorius

von Florian Neuhauss

Johannes Floors ist der schnellste Mann der Welt mit zwei Prothesen und hält alle Sprint-Weltrekorde. Doch eine Zeit will er unbedingt noch brechen.

Als Johannes Floors bei der Einweihung des Olympiastadions von Tokio auf die Laufbahn tritt, jubeln über 60.000 begeisterte Zuschauer von den Tribünen. Der weltschnellste Sprinter mit zwei Unterschenkel-Prothesen läuft in einer Mixed-Staffel und hat "ein richtiges Wow-Erlebnis". Die Sportbegeisterung der Japaner ist allgegenwärtig. Für Floors wird jener Abend im Dezember 2019 auch deshalb zu einem unvergesslichen Erlebnis, weil kein Geringerer als Usain Bolt mit von der Partie ist. "Sich mit so einer Sportikone zu unterhalten und nicht bloß Hallo und Tschüs zu sagen, war schon toll", sagt der 26-Jährige. "Größer als in diesem Moment hätte die Vorfreude auf die Paralympics gar nicht sein können."

Corona trifft Floors gleich doppelt

Doch dann kam Corona und all die Vorfreude war dahin. Zumal die Pandemie den Leverkusener gleich doppelt traf. Nicht nur die Verschiebung der Spiele, sondern auch eine Corona-Infektion machte Floors im vergangenen Jahr länger zu schaffen. "Ich lag mit grippeähnlichen Symptomen eine Woche lang im Bett", berichtet der Orthopädiemechaniker und Maschinenbau-Student. "Und ich habe die Infektion noch vier, fünf Monate lang gemerkt."

Der Ausnahme-Athlet war Teil einer Studie an der Sporthochschule Köln. In Absprache mit den Medizinern kehrte er nur langsam wieder zu seinem ursprünglichen Trainingspensum zurück. "Die Krankheitsverläufe sind komplett unterschiedlich, aber ich kann verstehen, dass jemand, der nicht so viel Sport treibt, durch Corona schon Probleme hat, Treppen zu steigen."

"Ich bin vom Jäger zum Gejagten geworden"

Dass die Spiele verschoben wurden, war im Endeffekt ein Glücksfall für Floors. Dass bei den Leichtathletikwettbewerben nun kaum noch etwas an die Stadioneinweihung erinnern wird, ist trotzdem bitter. "Wir sind es im Para-Sport gewohnt, dass nur wenig Zuschauer da sind", sagt der gebürtige Niedersachse. "Aber bei den Paralympics hatten wir uns das natürlich ganz anders erhofft."

Floors kennt die besondere Stimmung beim größten Ereignis im Para-Sport. Vor fünf Jahren in Rio de Janeiro war er noch der Neuling, mit der 4x100-Meter-Staffel gewann Floors an der Seite von Markus Rehm, Felix Streng und David Behre allerdings schon eine Goldmedaille. "Jetzt ist die Situation anders. Ich bin vom Jäger zum Gejagten geworden", sagt der 26-Jährige, für den das aber nicht nur Druck bedeutet. "Es ist schon was anderes zu wissen, vorne mitlaufen zu können."

IPC streicht Wettbewerbe - Floors hat Glück

Die Zusammenlegung von Klassen, wie sie das IPC im Vorfeld der Spiele in vielen Sportarten betrieben hat, trifft allerdings auch die Sprinter. Nicht nur, dass alle Staffeln gestrichen worden sind - und es nun nur noch eine Mixed-Staffel gibt, in der Floors wegen Terminproblemen nicht starten kann. Den Sportlern mit einer und zwei Prothesen ist jeweils ein Wettkampf "weggenommen" worden: Die Doppelt-Amputierten dürfen über 400 m, die Einfach-Amputierten über 200 m starten. Im 100-Meter-Wettkampf treten alle zusammen an.

Floors ist optimistisch, dass "ich auch über 100 Meter die anderen vorne ärgern kann" (Vorlauf Sonntag, 14.22 Uhr MESZ). Während andere Läufer sich umstellen mussten oder sich, weil ihre Standard-Disziplin in ihrer Klasse gestrichen worden war, ganz vom Paralympics-Traum verabschieden mussten, hatte Floors das Glück, über 400 m dabei sein zu dürfen.

"Ich laufe schon sehr gern die Stadionrunde. Ich liebe es, an meine Belastungsgrenze zu gehen und zu merken, dass ich die Grenze auch immer wieder verschieben kann", sagt Floors und fügt lachend hinzu: "Auf dieses Sich-Quälen muss man schon stehen - das grenzt an Masochismus."

"Vorbild zu sein, macht mich unheimlich stolz"

Mit den WM-Titeln über 400 und 200 m sowie dem zweiten Platz über 100 m gelang Floors im Jahr 2017 der internationale Durchbruch. Seitdem ist der Leverkusener mehr und mehr zum zweiten deutschen Aushängeschild im Para-Sport neben Rehm geworden. Auftritte im Sportstudio und beim Tigerenten Club zeigen die Reichweite seiner "Aufgaben". Was er lieber macht? "Das lässt sich gar nicht vergleichen, es sind zwei unterschiedliche Zielgruppen", sagt Floors lachend. "Aber ich habe früher selbst gern den Tigerenten Club geschaut und wenn ich jetzt Vorbild sein kann, macht mich das unheimlich stolz."

Viel fehlt Floors nicht mehr zum Pistorius-Rekord

400-Meter-Läufer Oscar Pistorius aus Südafrika © picture alliance / empics Foto: Andrew Matthews

Lange Jahre der große Para-Star: Oscar Pistorius.

Mit seinem Weltrekord über 200 m in diesem Jahr hat Floors eindrucksvoll unterstrichen, dass Corona bei ihm zumindest sportlich kein Thema mehr ist. Er hält aktuell über 100, 200 und 400 m offiziell alle Rekorde in seiner Klasse. Allerdings ist dies auch der Veränderung der Startklassen geschuldet. Nach einem System namens "Mash" wird die erlaubte Länge der Prothesen bestimmt. Rekorde, die nicht nach den heutigen Maßstäben gelaufen worden sind, wurden gelöscht. In den Jahren zuvor hatten sich Athleten immer wieder darin überboten, mit noch längeren Prothesen zu laufen, um noch schneller zu werden.

So war auch die Dominanz von Para-Superstar Oscar Pistorius gebrochen worden. Auch wenn selbst der Südafrikaner heutzutage kleiner sein müsste, hat Floors weiter ein großes Ziel: "Sein Weltrekord ist schon eine Marke für mich, die ich laufen möchte." Mit seinen 45,78 Sekunden über die 400 m fehlt ihm nicht mehr viel zu Pistorius' 45,39 aus dem Jahr 2011 in Daegu.

Floors versucht, die Erwartungen zu dämpfen: "Normalerweise werden Rekorde nicht in den Finals bei den Großevents gelaufen." Bei Olympia hat sich allerdings gezeigt, wie schnell die Bahn im Olympiastadion ist. "Das deckt sich mit meinen Erfahrungen", sagt Floors schmunzelnd mit Blick zurück auf die Stadioneinweihung und schwärmt dann noch ein wenig: "Die Stadionrunde läuft sich schon sehr schön. An mir soll es nicht scheitern."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Paralympics Tokio 2020 | 29.08.2021 | 09:00 Uhr

Stand: 28.08.21 10:34 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge Volksrepublik China CHN 96 60 51
2. Flagge Großbritannien GBR 41 38 45
3. Flagge USA USA 37 36 31
4. Flagge Russisches Paralympisches Komitee RPC 36 33 49
5. Flagge Niederlande NED 25 17 17
6. Flagge Ukraine UKR 24 47 27
7. Flagge Brasilien BRA 22 20 30
8. Flagge Australien AUS 21 29 30
...
12. Flagge Deutschland GER 13 12 18
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