Das Marathon-Drama von St. Louis
Marathon-Experten sind die Macher der Spiele von St. Louis sicher nicht. Sie wollen eine "interessante" Strecke. Deshalb führt diese durch verschlungene Straßen, über staubige Sandwege - und über sieben Hügel. Das Thermometer zeigt 32 Grad im Schatten, als die 32 Läufer am helllichten Nachmittag starten. Nur 14 erreichen das Ziel, darunter mit Len Tauw und Jan Mashiani zwei Angehörige der Tswana aus dem Zululand. Als erste Afrikaner bei Olympischen Spielen beenden sie den Marathon auf den Plätzen neun und zwölf. Mashiani wäre wohl noch weiter vorne angekommen, hätten ihn nicht zwei Hunde während des Rennens durch ein Weizenfeld gejagt.
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Geschichte
Das war Olympia 1904
Von Zockern und Schwindlern
Der Kubaner Felix Carvajal hat schon vor dem Start eine Odyssee hinter sich: Dem nur 1,53 Meter kleinen Briefträger fehlt das Geld für seinen großen Traum - den Sieg bei einem Marathon. Das erläuft er sich bei unermüdlichen "Bettel" - Runden um das Rathaus von Havanna - und verzockt es nach der Ankunft in New Orleans. Bis St. Louis muss er deshalb wandern, fast 1000 Kilometer. Müde? Mitnichten! Ohne je zuvor einen Marathon gelaufen zu sein, wird Carvajal Olympia-Vierter.
Vermeintlicher Sieger ist der Amerikaner Fred Lorz. Dem Publikumsliebling hat Präsidententochter Alice Roosevelt schon den Siegerkranz überreicht - da fliegt sein Schwindel auf: Lorz hatte nach Krämpfen bei Kilometer 14 schon aufgegeben und sich von einem vorbeifahrenden Wagen mitnehmen lassen. Als auch der Wagen den Geist aufgibt, rennt Lurz einfach weiter. "Nur, um den Jubel zu genießen", wie er später behauptet. Die Funktionäre glauben ihm nicht und belegen ihn mit einer lebenslangen Sperre.
Strychnin verleiht Flügel
Thomas Hicks kollabiert auf der Strecke, gewinnt aber trotzdem Gold.
Sieger wird deshalb Thomas Hicks. Der Amerikaner kommt nach drei Stunden und 28 Minuten ins Ziel, von Halluzinationen gepeinigt und von Helfern gestützt. Eigentlich hatte er schon lange aufgeben wollen, aber sein Trainer verabreicht ihm nach einem Kollaps auf den letzten Kilometern mehrfach einen Cocktail aus einem tausendstel Gramm Strychnin, rohem Ei und mehreren Schlücken Brandy. Solcherart "erfrischt", quält sich Hicks über die Ziellinie, wo ihn vier Ärzte behandeln. Mit sechs Minuten Rückstand wankt der Franzose Albert Coray fantasierend ins Ziel.