Busemanns Olympia-Kolumne
Das Dilemma der ewigen Medaillenzählerei
von Frank Busemann
Alle vier Jahre das gleiche Zahlenspiel vor den Olympischen Spielen: Wie viele Medaillen sollen es denn bitte schön sein fürs deutsche Team? 2012 in London waren es 44, in Rio hofft das deutsche Team auf 42 bis 70 Mal Edelmetall. Der ARD-Kolumnist und ehemalige Zehnkämpfer Frank Busemann hat einen ganz einfachen Ratschlag: Wie wäre es denn mal mit "Ball flachhalten"?!
Na, was wollen wir denn nun? 44 Medaillen? Oder 70? Vielleicht irgendwas dazwischen? Jetzt geht es wieder los mit den Strichlisten und dem Länderranking. Die Athleten müssen es richten. Sauber sollen sie sein. Und aufrichtig. Das ist alles was zählt, hört man vom DOSB.
Fabian Hambüchen kotzt die Medaillenzählerei laut "Bild"-Zeitung an. Claudia Rath sagt, warum soll der zehntbeste Platz viel schlechter sein als der drittbeste? Da hat sie recht. Ob 7.350.924.867 oder 7.350.924.874 Menschen hinter einem sind, ist marginaler Unterschied. Supradupramarginal. Aber darum geht es im Sport.
Alle Teilnehmer sind die besten ihres Faches
Wenn wir ganz ehrlich sind, dann interessiert keinen einzigen Sportler das Gesamtergebnis seiner Nation. Wozu auch? Weil das Freibier bei den Gewichthebern doppelt so lecker ist wie bei den Turnern? Es ist eine statistische Funktionärsgröße und der Versuch der Leistungsgesellschaft, Stärke oder Schwäche abbilden zu wollen. Nachrangig betrachtet profitiert eine erfolgreiche Sportart von erhöhten Fördermitteln, aber in Rio ist jeder auf seinen Wettkampf fokussiert.
Alle Teilnehmer sind die besten ihres Faches. Dabei sein ist erst einmal alles. In der Schule war es die Ehrenurkunde. Oder die Siegerurkunde. Was verwirrend ist: Ehre ist also besser als siegen. Aha?! Als wenn Alfons Hörmann diese Bundesjugendspiele erfunden hat. Doch auch da gibt es schon eine Klassifizierung.
Herzklopfen beim Jubel für Platz fünf
So freute sich Zehnkämpfer Frank Busemann über Olympia-Silber 1996 in Atlanta.
Warum bekommt ein Zehnkämpfer eigentlich nur eine Medaille - ein Sprinter aber drei? Warum kann eine ganze Fußballmannschaft auch nur eine und ein Schwimmer aber eine ganze Hand voll gewinnen? Kann es im Medaillenspiegel eine gerechte Wertung geben? Nein! In der DDR wurde der Mannschaftssport kleingehalten, weil 20 Fußballer in der Medaillenwertung genauso gut waren wie ein halber Sprinter. Plus 1 eben.
Das sind die kühlen Fakten. Das Emotionale des Sports sind eben die Hoffnung, das Bangen, aber auch die Medaille im Happy End. Und die zähle ich natürlich mit. Vielleicht ist es meinem Dasein als Zehnkämpfer geschuldet, dass ich ein punktgeiler Erbsenzähler bin. Wie ist der Anspruch einer Leistungsgesellschaft? Ich glaube, dass wir schon lang da angekommen sind, dass wir einem erfrischenden Fünften ganz doll die Daumen drücken. Das Herz schaut eben auch zu. Das sind die Emotionen des Sports. Unterkühlte Leistungsmaschinen sind halt nur die Striche in der Liste.
Die Palmzweig-Zeiten sind zum Glück vorbei
Aber wir brauchen den Ansporn dieser verdammten Medaillen. Wir und die Athleten brauchen dieses Ziel. Sport ist manchmal hart und der sieht es vor, dass der vierte Platz der vermeintlich undankbare ist. Das ist er aber nur, wenn man vorher eine Medaille fest eingeplant hat. Und dann ist es wirklich Mist. Weil man unter Wert ins Ziel gekommen ist. Dann taucht der Athlet nicht im Medaillenspiegel als Strich auf. Kratzt ihn nicht. Vielmehr wurmt ihn, dass er selbst sein gestecktes Ziel nicht erreicht hat.
Also, lasst uns die Medaillen zählen, aber die ganzen Kämpfer und ehrenvollen Siegertypen nicht vergessen, die aufrichtig und mit Feuer das Beste abliefern was sie können.
P.S.: Und soweit ich informiert bin, haben die Olympiasieger in der Antike nur einen Palmzweig bekommen - okay, und Steuerbefreiungen, Geschenke, ein großes Begräbnis etc. auch -, aber die weiteren Plätze gingen komplett leer aus. Da ist es mit der heutigen Erbenszählerei doch irgendwie humaner.
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Stand: 06.08.16 12:38 Uhr