IAAF: Whistleblowerin Stepanowa darf wieder starten
Die russische Whistleblowerin Julia Stepanowa hat vom Leichtathletik-Weltverband IAAF das internationale Startrecht erhalten und darf auf eine Olympia-Teilnahme hoffen. Bei der EM in Amsterdam wird die 800-Meter-Läuferin antreten.
Die Kronzeugin des russischen Doping-Skandals erhielt vom Weltverband IAAF am Freitag (01.07.2016) mit sofortiger Wirkung das internationale Startrecht. Die Leichtathletin dürfe wegen ihrer Verdienste um einen sauberen Sport unter neutraler Flagge wieder an Wettkämpfen teilnehmen. Damit rückt auch ein Start bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro für die 29 Jahre alte Mittelstrecklerin immer näher. Insgesamt hätten mehr als 80 russische Athleten - darunter auch Stabhochsprungstar Jelena Issinbajewa - Anträge für Ausnahmeregelungen gestellt, teilte die IAAF mit. Diese würden geprüft. Der Weltverband will nur Sportler mit einem Startrecht für Rio ausstatten, die nachweislich im Ausland lebten und nicht dem russischen Dopingsystem unterstanden. Allerdings hatten Russlands Leichtathleten angekündigt, vor den Internationalen Sportgerichtshof CAS ziehen zu wollen, um ein Olympia-Startrecht einzuklagen.
Seppelt: "Verdienste von Julia Stepanowa anerkannt"
ARD-Dopingexperte Seppelt: "Gespannt, ob IOC-Exekutive auch Haltung beweist."
"Damit hat der Weltsport offenkundig die Verdienste von Julia Stepanowa anerkannt, die als eine der berühmtesten Whistleblowerinnen des Sports in die Geschichte eingehen wird", sagte ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt sportschau.de: "Nun wird sich zeigen, ob die IOC-Exekutive mit dem deutschen Präsidenten Thomas Bach auch Haltung beweist und der mutigen Russin, die sich für ihre Enthüllungen großen Risiken aussetzte, einen Startplatz bei Olympia ermöglicht."
Was macht das IOC?
Stepanowas Zulassung zu einzelnen Wettbewerben hängt noch von der Zustimmung der jeweiligen Organisatoren ab. Während der Europäische Leichtathletik-Verband (EAA), unter dessen Flagge Stepanowa in Amsterdam antreten wird, bereits zustimmt hat, steht die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) noch aus. Das IOC werde einen möglichen Start "sorgfältig prüfen" und habe bereits alle Daten zu dem Fall von der IAAF angefordert, teilte das IOC am Freitag mit. "Das kann man nicht mit einem Federstrich erledigen, weil wesentliche Regeln der Olympischen Charta infrage stehen. Wir werden den Fall auf Grundlage der Regeln und unter Berücksichtigung der persönlichen und rechtlichen Gesichtspunkte vollumfänglich prüfen und bewerten", hatte IOC-Präsident Thomas Bach bereits zuvor betont.
Freitag: "Thomas Bach muss sich positionieren"
Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschuss im Deutschen Bundestag, sieht den IOC-Chef nun unter Druck: "Ich denke, Präsident Thomas Bach kommt hier eine ganz entscheidende Rolle zu, er muss sich positionieren." Generell begrüßte Freitag die IAAF-Entscheidung. "Das ist ein ausgesprochen gutes und wichtiges Signal, dass Whistleblower eine Zukunft im Sport haben können. Whistleblower dürfen nicht als Nestbeschmutzer angesehen und verstoßen werden", sagte die SPD-Politikerin.
Prokop und DOSB begrüßen Entscheidung
Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, begrüßte Stepanowas Rückkehr auf die Wettkampfbühne ausdrücklich. "Es ist ein wichtiges Zeichen des internationalen Sports, dass Julia Stepanowa für ihr Risiko, Missstände in ihrem Land aufgezeigt zu haben, nicht weiter abgestraft, sondern ihr Mut honoriert wird." Er hoffe nun, dass auch das IOC ihr das Startrecht für Rio gewährt: "Die IAAF hat vorgemacht, wie man kurzfristig Regeln einführen kann, die es ermöglichen."
Auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) äußerte sich lobend: "Es ist ein Signal in die richtige Richtung. Whistleblower müssen gestärkt werden, denn sie werden zur Glaubwürdigkeit und zur Optimierung des Anti-Doping-Kampfes dringend gebraucht." Die Nationale Anti Doping Agentur (NADA) erklärte, die Entscheidung sei "aufgrund ihrer Verdienste für den sauberen Sport" richtig.
Kritik aus Russland
In Russland gab es unterdessen Kritik. "Das ist keine gerechte Entscheidung, weil Julia Stepanowa selbst verbotene Präparate verwendet hat", sagte der Vorsitzende des Sportausschusses in der Staatsduma, Dmitri Swischtschjow, der Agentur "Interfax". Das Gesetz solle für alle gleich sein, forderte er.
Stepanowa lieferte der ARD Beweise
Hintergrund
Stepanowa und ihr Mann Witali, ehemaliger Mitarbeiter der russischen Anti-Doping-Agentur RUSADA, hatten den Skandal um systematisches Doping in der russischen Leichtathletik Ende 2014 mit ihren Aussagen in der ARD-Dokumentation "Geheimsache Doping - Wie Russland seine Sieger macht" ins Rollen gebracht. Sie lieferten Beweise für ein flächendeckendes Doping und ein von Trainern und Verbandsfunktionären getragenes, korruptes Betrugssystem in einer der stärksten Sportnationen der Welt. Die 800-m-Läuferin berichtete von ihrer eigenen Dopingvergangenheit und die Rolle der Trainer. "Den Trainern wird es eingehämmert und die hämmern es den Athleten ein. Die Athleten denken deshalb gar nicht, wenn sie verbotene Präparate einnehmen, dass sie etwas Unrechtes tun", erzählte Stepanowa, die 2013 für zwei Jahre gesperrt worden war. Nach den Enthüllungen verließ das Ehepaar Russland und setzte sich an einen geheimen Ort in die USA ab.
Genaue Prüfung vor der Startrecht-Erteilung
Bestätigt wurde das von den beiden Whistleblowern gezeichnete Schreckensbild des Dopings durch eine Untersuchungskommission der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA, die am 9. November 2015 entsprechende Beweise und Belege in einem 323-seitigen Bericht vorlegte. Daraufhin wurde der russische Verband vier Tage später suspendiert. Die IAAF verlängerte am 17. Juni die Sperre und verhängte damit auch ein Olympia-Startverbot des Verbandes, öffnete aber zugleich die Hintertür für im Ausland lebende Russen und vor allem für Stepanowa, wie die IAAF ausdrücklich betonte.
Die couragierte Läuferin musste sich einer genauen Prüfung vor der Startrecht-Erteilung unterziehen. Auf Grundlage der Wettkampfregel 22.1A der IAAF musste Stepanowa eine Doping-Prüfungskommission überzeugen, in einer relevanten Periode unabhängig und häufig genug getestet worden zu sein.
Stand: 01.07.16 13:55 Uhr