Sportklettern
Felskletterer Megos: Olympia vor der Brust, den Coup von Céüse im Kopf
von Matthias Heidrich
Alexander Megos ist einer der besten Felskletterer der Welt. Das Mega-Sportevent Olympische Spiele passt eigentlich nicht zu dem Freigeist. Am Start ist er trotzdem, wenn in Tokio erstmals olympische Medaillen im Sportklettern vergeben werden. Dabei zehrt der 27-Jährige von einem spektakulären Coup: Vor einem Jahr bezwang er als erster Kletterer die "Bibliographie", die schwierigste Route der Welt.
Tag 58! Alexander Megos kämpft um jeden Griff, jeden Zentimeter. "Alléz, Alex!" Anfeuerungsrufe vom Fuße des Felsens im französischen Sportklettergebiet Céüse, an dem sich der Deutsche gerade festkrallt. Er stöhnt, ächzt, kämpft, doch die Kräfte reichen nicht. Megos verliert den Halt, rauscht im freien Fall in die Tiefe, ehe ihn das Sicherungsseil abfängt. Der Schrei des Deutschen ist herzzerreißend. Wut, Enttäuschung, Verzweiflung, alles schwingt in diesem Moment mit und ist in einem Film zu sehen, der Megos bei diesem Projekt hautnah begleitet hat.
"Da denkt man sich: 'Drei Jahre lang habe ich jetzt dafür gearbeitet, dass ich einmal hier hochkomme. Das war der Versuch. Und jetzt war's das bis nächstes Jahr'", sagt Megos und schaut seinen olympischen Kontrahenten im Aomi Urban Sports Park beim Training zu. "Da war ich richtig frustriert."
Die "Bibliographie" ist in Tokio weit weg und doch immer dabei. Kein Wunder, hat Megos doch drei Jahre daran gearbeitet, sie zu bezwingen. Bewertet hat er sie mit der Schwierigkeitsstufe 9c. Auf der ganzen Welt gibt es nur einen anderen Felsen, der ebenfalls in diese Kategorie fällt. Die Route "Silence" in Norwegen, die Adam Ondra 2017 kletterte. Der Tscheche ist ebenfalls in Tokio am Start.
Schon früh für Furore gesorgt
2017 war auch Megos das erste Mal in Céüse und begann, sich die Route durch den 35 Meter langen, überhängenden Felsabschnitt zu erarbeiten. Darin ist der Deutsche einer der Besten. 2013 sorgte er für Furore, als er im Alter von 19 Jahren als erster Bergsportler eine Felsroute der Schwierigkeit 9a onsight schaffte. Das bedeutet, dass man die Route beim ersten Versuch erklettert, ohne davor einem anderen Athleten zugesehen oder andere Informationen zu haben.
Olympia-Verschiebung kommt Megos gelegen
In der Felswand, in der Natur fühlt sich Megos am wohlsten. Dier Kletterhallen sind nicht so seins. So ist es nicht verwunderlich, dass er 2020 die Chance ergreift, die ihm die Corona-Pandemie bietet. Als die Verschiebung der Tokio-Spiele um ein Jahr feststeht, packt er seine Sachen und flieht vor den Wänden in den Hallen und seinem Motivationsloch - nach Céüse.
Rund 60 Tage für die "Bibliographie" gebraucht
Megos ist es gewohnt, die meisten Kletterprojekte in einem oder nur wenigen Versuchen zu meistern. An dem Felsmassiv in Frankreich hat er rund 60 Tage verbracht, bis der eine Moment kam. Genau kann er es nicht mehr sagen. "Ich hätte damals nicht einmal mehr gewusst, welcher Monat war." Es ist Anfang August 2020 und er scheitert wie die Jahre zuvor wieder und wieder. "Ich habe Montag und Dienstag verkackt und wollte den Mittwoch nach Hause fahren", erinnert er sich. "Dann habe ich gesagt: 'Komm, bevor du nach Hause fährst, machst du noch einen Versuch'."
Es ist der 5. August 2020 und dieses Mal sitzen alle Griffe. Er schafft die "Bibliographie". An diesem Tag sind es Freudenschreie, die von Megos im Film zu hören sind. "Das war ein guter Tag, den ich so schnell nicht vergessen werde", sagt er und schaut sich wieder im Aomi Urban Sports Park um. Läuft alles optimal, dann wird Megos zum Olympia-Finale wieder hier stehen - am 5. August 2021. Auf den Tag genau ein Jahr nach seinem Coup von Céüse.
Hintergrund
Stand: 01.08.21 15:31 Uhr
Medaillenspiegel
Platz | Land | G | S | B |
---|---|---|---|---|
1. | USA | 39 | 41 | 33 |
2. | CHN | 38 | 32 | 18 |
3. | JPN | 27 | 14 | 17 |
4. | GBR | 22 | 21 | 22 |
5. | ROC | 20 | 28 | 23 |
6. | AUS | 17 | 7 | 22 |
7. | NED | 10 | 12 | 14 |
8. | FRA | 10 | 12 | 11 |
9. | GER | 10 | 11 | 16 |
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