Das Pferd Saint Boy von Annika Schleu aus Deutschland verweigert den Sprung. © dpa-Bildfunk Foto: Marijan Murat

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Olympia-Eklat um Schleu: Moderne Fünfkämpfer sehen Schuld beim IOC

Das Olympia-Eklat um die Moderne Fünfkämpferin Annika Schleu schlägt weiter hohe Wellen. Präsident Klaus Schormann vom Dachverband UIPM hat am Samstag (07.08.2021) gereizt auf Kritik an den Regeln des Sports reagiert und überraschte mit einer ganz neuen Sicht auf das Reit-Drama.

"Für uns ist völlig klar: Man muss uns nicht auffordern, über das Regelwerk nachzudenken. Das tun wir permanent", sagte Schormann in Tokio. "Wir haben das Regelwerk schon die letzten drei Jahre überarbeitet und haben all das, was jetzt kritisiert wird, schon längst zu Papier gebracht. Aber wir dürfen unser Regelwerk nur alle vier Jahre verändern, das ist in den Statuten festgelegt. Wir mussten die Regeln, die wir haben, hier anwenden."

UIPM-Präsident klang am Freitag noch ganz anders

Damit scheint Schormann mit etwas zeitlichem Abstand zu dem Reit-Eklat zu einer Einsicht gekommen zu sein. Tags zuvor hatte er noch ganz anders geklungen. "Alles war genial, alles war super", wurde er auf der Homepage des Weltverbands UIPM zitiert: "Vielleicht gab es ein paar Momente, von denen man sagen kann, dass sie nicht so schön waren, aber ich kann ihnen sagen: Die Pferde sind absolut ausgezeichnet."

Der 75-Jährige hatte zunächst sogar die Verantwortung auf die Sportler abgewälzt. Es gebe "keinen Grund für sie, sich zu beschweren. Es liegt nur an den Athleten selbst, wenn sie in einigen Teilen des Wettkampfes nicht erfolgreich waren".

Fünfkampf-Trainerin Raisner von Olympia ausgeschlossen

Am Freitag (07.08.2021) waren die Bilder des bockenden und panischen Pferdes sowie der weinenden Schleu um die Welt gegangen. Aus purer Verzweiflung und nach expliziter Aufforderung der daneben stehenden Bundestrainerin Kim Raisner hatte Schleu mehrfach die Gerte gegen das ihr zugeloste Pferd eingesetzt. "Hau mal richtig drauf", hatte Raisner gesagt - und dem Pferd zudem einen Faustschlag in die Seite verpasst. Doch die Reiterin aus Berlin bekam "Saint Boy" nicht mehr unter Kontrolle. Am Samstag war Raisner vom Weltverband von den Olympischen Spielen ausgeschlossen worden.

Schormann schießt gegen Werth zurück

"Wenn ich so etwas sehe, dann darf ich so ein Pferd nicht mehr loslassen. Was wir da gestern erlebt haben, das kennen wir eigentlich gar nicht. Wenn dann die Frau Werth und andere sagen, geht doch auf den Roller, das ist alles ein absoluter Unsinn", beschwerte sich Schormann über die Kritik unter anderem von der siebenmaligen Dressur-Olympiasiegerin Isabell Werth. Die hatte in Reaktion auf die Vorkommnisse gesagt das Tier sei im Fünfkampf "nur ein Transportmittel".

Schleu hatte laut Reglement im Vorfeld nur 20 Minuten Zeit, um sich mit dem Tier vertraut zu machen, das zuvor bereits bei einer russischen Sportlerin verweigert hatte.

"Der Veterinär hat absolut versagt"

Für Schormann ist klar, dass das Pferd nach den Verweigerungen bei der Russin gar nicht mehr für einsatzfähig hätte erklärt werden dürfen. "Dieser Veterinär hat absolut versagt", sagte er. Die Beurteilung des Pferdes sei "unmöglich, aber wir sitzen ja auf der Tribüne, wir können das ja nicht ändern". Er wolle in Zukunft mehr Eigenständigkeit für seinen Verband bei Olympischen Spielen und nicht auf fremde Funktionsträger angewiesen sein.

Michael Scharf, Präsident des Deutschen Verbandes für Modernen Fünfkampf (DVMF), hat indes den öffentlichen Umgang mit Schleu scharf kritisiert. Im Deutschlandfunk sagte er, die Athletin sei durch die Ereignisse im Springparcours traumatisiert worden. Es sei für ihn "sehr fragwürdig", dass "auf einen Menschen, der am Boden lag, auch noch getreten wurde". Schleu hatte nach ihrem Ritt in den Sozialen Medien viele Anfeindungen einstecken müssen und ihr Instagram-Profil aufgrund der Hasskommentare deaktiviert.

Ocik fordert den Fünfkampf-Weltverband zum Handeln auf

Der Schlagmann des deutschen Ruder-Achters, Silbermedaillengewinner Hannes Ocik, stärkte Schleu den Rücken. Der in den Sozialen Medien gegen die Fünfkämpferin verbreitete Hass sei "absolut unverständlich und geht total in die falsche Richtung". Um Athleten und Tiere zu schützen, müsse nun der Weltverband des Modernen Fünfkampfes Änderungen herbeiführen, so Ocik. Bilder wie in Tokio wolle er in Zukunft nicht mehr sehen.

Für Scharf ist die Bundestrainerin ein "Sündenbock"

Scharf verteidigte auch Raisner. Die Bundestrainerin habe zwar nicht angemessen reagiert, "aber versuchen Sie mal, in so einer Situation adäquat zu reagieren". Zu einem vermeintlichen Faustschlag der Trainerin lägen ihm keinerlei Beweise und Informationen vor. TV-Bilder belegten allerdings das Fehlverhalten von Raisner. Ein Faustschlag der Bundestrainerin auf die Flanke des Pferdes war deutlich zu sehen.

Berufsverband fordert "fairen Umgang"

Der Berufsverband der Trainerinnen und Trainer im Deutschen Sport verlautbarte, dass das Verhalten von Raisner und Schleu aus seiner Sicht "falsch" gewesen sei und "zu Recht öffentlich kritisiert" werde, forderte aber auch "einen fairen Umgang mit der Bundestrainerin und der Athletin". Beide hätten unter einem hohen Erfolgsdruck gestanden, so der Berufsverband. In einer emotionalen Situation hätten sie Fehler gemacht. "Dennoch dürfen Kim Raisner und Annika Schleu nun nicht zu den alleinigen Sündenböcken gemacht werden."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Olympia Tokio 2020 | 07.08.2021 | 23:50 Uhr

Stand: 08.08.21 03:16 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge USA USA 39 41 33
2. Flagge Volksrepublik China CHN 38 32 18
3. Flagge Japan JPN 27 14 17
4. Flagge Großbritannien GBR 22 21 22
5. Flagge Russisches Olympisches Komitee ROC 20 28 23
6. Flagge Australien AUS 17 7 22
7. Flagge Niederlande NED 10 12 14
8. Flagge Frankreich FRA 10 12 11
9. Flagge Deutschland GER 10 11 16
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