Blick in das zerstörte und verlassen Futaba

Der Japan-Reiseblog von Julia Linn

Von verlorenen Leben und enttäuschter Olympia-Hoffnung

Dieser Tag macht mir erst richtig bewusst, welches Ausmaß die Katastrophe von Fukushima noch heute hat. Ich treffe einen Menschen, dem alles genommen wurde - jetzt auch die große Olympia-Hoffnung.

Ich führe ein privilegiertes Leben - das wird mir hier heute ganz klar: Ich kann dort wohnen, wo ich möchte, ich habe ein richtiges Zuhause und kann mich dort so lange aufhalten, wie ich es will. Bei Takumi Ito ist das anders. Ich bin am Morgen mit ihm im Familiengeschäft verabredet. Er verkauft hier Baumaterialien für den Wiederaufbau seiner Heimat.

Takumi Ito

An das Zuhause von Takumi Ito erinnert hier nichts mehr. Auch die Nachbarhäuser werden jetzt abgerissen.

Takumi Ito ist 30 Jahre alt, er hat sein ganzes Leben in der Stadt Futaba verbracht - bis der Tsunami fast alles weggerissen hat, das Erdbeben den Rest in Trümmer gelegt und die Atomkatastrophe von Fukushima die Stadt unbewohnbar gemacht hat. Puh!

Vor einem Jahr wurde Futaba wieder eingeschränkt geöffnet. Etwa vier Prozent des Stadtgebiets dürfen nun tagsüber betreten werden. Hier richtig leben darf noch niemand. Die Strahlenbelastung ist auf Dauer zu hoch. Vor einem Jahr durfte Takumi Ito sein Baugeschäft mit Sondergenehmigung neueröffnen.

Alles ist weg - das Zuhause und das Vertrauen in Tepco

Ich frage ihn, was Futaba denn früher für ein Zuhause war. "Futaba war ein Ort mit wunderschönem Meer und ein Ort, an dem mir - seit ich geboren wurde - gesagt wurde, dass Atomkraft sicher sei", antwortet Takumi Ito.

"Man kann unsere Situation nur verstehen, wenn man hierherkommt und es mit eigenen Augen sieht." Takumi Ito

Fast alle seine Nachbarn haben bei Kraftwerkbetreiber Tepco gearbeitet. "Das Kernkraftwerk war das Zentrum unseres Lebens", sagt er. Die Arbeitsplätze waren sicher, Tepco habe in der Wahrnehmung der Menschen in Futaba einen Beitrag für die Gesellschaft geleistet. "Wir waren stolz darauf."

Zerstörte Apotheke in Futaba

Eine zerstörte Apotheke in Futaba. Seit zehn Jahren darf niemand zurückkehren.

Wir gehen mit Takumi Ito dorthin, wo er früher gelebt hat. Auf dem Weg erzählt er uns, dass er heute anders denkt. Man sollte nicht immer in Tepcos Legende von sicherer Energie vertrauen, sagt er. Heute ist er nicht mehr stolz auf das, was man ihm alles weggenommen hat. Wirklich alles: Wir stehen im Nichts. Hier ist kein Haus mehr, nicht ein Stein - ein komplett leerer Platz.

Vor fünf Jahren wurde das Haus seiner Familie abgerissen. Für eine Stunde durfte er vorher zurückkehren, um Erinnerungsstücke zu retten. Er hat Fotoalben aus seiner Schulzeit mitgenommen. Das ist alles, was von seinem früheren Leben übriggeblieben ist. Im kommenden Frühjahr darf er wahrscheinlich ganz zurück in seine Stadt, aber nicht dorthin, wo früher sein Zuhause stand. Zu gefährlich.

Auf olympische Euphorie folgt Ernüchterung

Ein Graffiti in Futaba

Immerhin: Ein Graffiti in Futaba verbreitet Wiederaufbau-Hoffnung.

Seit dem 11. März 2011, dem Tag der Katastrophe, gab es wenig Hoffnung in Futaba. Ein Tag war der, an dem die Stadt wieder etwas geöffnet wurde. Und dann war da der Tag des Fackellaufs - das olympische Feuer in der Geisterstadt. Ziemlich genau zehn Jahre waren da vergangen. "Es war ein Moment, in dem ich die Olympischen Spiele spüren konnte", erzählt Takumi Ito. Er ist sichtlich stolz darauf. Der Fackellauf war ein Meilenstein für Futaba, sagt er. Für einen kurzen Augenblick waren alle Augen auf seine Stadt gerichtet. Wie hätte das nur werden können, wenn bei den olympischen Wettbewerben in der Präfektur Fukushima Zuschauer erlaubt gewesen wären?

Takumi Ito hatte fest gehofft, dass Menschen aus der ganzen Welt, vom Schicksal der Region erfahren. Eine verlorene Chance für die Zukunft Fukushimas, sagt er: "Man kann unsere Situation nur verstehen, wenn man hierherkommt und es mit eigenen Augen sieht." Ich weiß genau, was er meint. Bevor ich hier war, habe ich es nicht verstanden. Das wird mir jetzt erst so richtig bewusst.

 

ARD-Reporterin Julia Linn

Julia Linn

Zur Person: Julia Linn arbeitet für den WDR und im ARD-Studio Tokio und berichtet hier täglich von ihren Erfahrungen bei den Olympischen Spielen in Tokio.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Olympia Tokio 2020 | 23.07.2020 | 09:05 Uhr

Stand: 13.07.21 11:56 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge USA USA 39 41 33
2. Flagge Volksrepublik China CHN 38 32 18
3. Flagge Japan JPN 27 14 17
4. Flagge Großbritannien GBR 22 21 22
5. Flagge Russisches Olympisches Komitee ROC 20 28 23
6. Flagge Australien AUS 17 7 22
7. Flagge Niederlande NED 10 12 14
8. Flagge Frankreich FRA 10 12 11
9. Flagge Deutschland GER 10 11 16
Stand nach 339 von 339 Entscheidungen.

Alle Platzierungen | mehr