Der deutsche Para-Triathlet Martin Schulz liegt erschöpft im Ziel © IMAGO / GEPA pictures Foto: Patrick Steiner

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Paralympics: Kampf um Medaillen und gegen die Hitze

von Florian Neuhauss

Die klimatischen Bedingungen in Tokio haben auch die Paralympics im Griff: Vorbereitung im Hitzezelt, Kühlwesten und kalte Pferde-Duschen sollen dagegen helfen.

Martin Schulz konnte es kaum erwarten, seine Badekappe abzunehmen. Bei Wassertemperaturen von knapp 30 Grad Celsius war der Para-Triahtlet die 750 Meter durch die Bucht von Tokio geschwommen und entledigte sich danach schnell seiner Schwimmbrille und der Kappe. "Anfangs fand ich es im Wasser noch angenehm", sagte der Leipziger, der mit einer Kühlweste zur Startposition gegangen war. "Aber am Ende war es schon warm. Im Wasser hat der Körper ja keine Möglichkeit, sich extern abzukühlen. Da musste die Badekappe schnell vom Kopf."

Doch der 31-Jährige kam mit den widrigen Bedingungen am besten zurecht. Der Paralympics-Sieger von 2016 wiederholte im Odaiba Marine Park seinen großen Triumph und holte damit die erste Goldmedaille für Deutschland.

Schulz hatte sich sehr akribisch auf die Wettkämpfe vorbereitet. Der Sachse absolvierte Trainingseinheiten im Hitzezelt mit Luftbefeuchter und Heizstrahler - bei 38 Grad und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit. Sein Fahrrad stellte er zudem mitunter im Schwimmbad auf, um die Bedingungen vor Ort zu simulieren.

Böttger/Kosenkow rutscht Verbindungsband aus den Händen

Andere Athleten taten sich bisher viel schwerer mit den hohen Temperaturen und der hohen Luftfeuchtigkeit. Den Leichtathleten Marcel Böttger und seinem Guide, dem ehemaligen Olympia-Sprinter Alexander Kosenkow, rutschte über 100 m das Verbindungsband aus den Händen - was die Disqualifikation bedeutete. "Wir schwitzen hier so sehr, deshalb bin ich beim Zieleinlauf aus dem Band gerutscht. Das ist sehr ärgerlich und unbegreiflich", sagte der sehbehinderte Böttger. Die Hände seien bei diesem Klima "komplett nass", erklärte Kosenkow den Fauxpas. "Das ist uns noch nie passiert, selbst im Training nicht. Man muss es fester halten als sonst. Aber beim Sprinten versucht man, nicht zu verkrampfen und lässt mal ein bisschen locker."

Schatten suchen beim Rudern - Kalte Dusche für Pferde

Hart sind die Bedingungen auch beim Para-Tennis. In der Sonne heizt sich der Boden enorm auf, und durch die Position im Rollstuhl bekommen die Spielerinnen und Spieler von unten noch mal mehr Hitze ab. Weil die Ruderstrecke komplett in der gleißenden Sonne liegt, nur einmal kurz bei einer Brückendurchfahrt unterbrochen, werden die Aktiven sofort nach den Rennen in die nahen Hallen geholt. Kühlwesten gehören auch beim Rudern und bei der Leichtathletik zur Standard-Ausrüstung.

Bei der Para-Dressur wird sehr genau darauf geachtet, dass die Temperatur nicht in den kritischen Bereich kommen. Bei 32, 33 Grad in der Mittagszeit ist Pause. Kühles Wasser und Eis stehen bereit, in den Abkühlbereichen können die Pferde zudem nach den Wettkämpfen kalt abgeduscht werden.

Training bei 38 Grad und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit

Um sich besser auf die Bedingungen in Japan einzustellen, hatte der DBS diverse Athleten in Vorbereitungscamp, die über weiter Teile des Landes verteilt waren, geschickt. "Das hat auf jeden Fall gut dabei geholfen, sich zu akklimatisieren", sagte Leon Schäfer nach seinem Weitsprung-Wettkampf, in dem er zu Silber gesprungen war. "Mittlerweile sind die Bedingungen für mich okay." Einige seiner Kollegen im Leichtathletik-Team ächzen da mehr. Wenn der Schweiß in die Prothesen läuft, kann es bei hohen Temperaturen schnell zu Entzündungen kommen.

Weitspringer Lacin: "Da brennen die Stümpfe"

Erwischt hatte es in den vergangenen Tagen Schäfers Weitsprung-Kontrahent Ali Lacin, der drei Tage mit dem Training aussetzen musste. "Ich habe mir eine Entzündung zugezogen. Bei diesen Temperaturen ist es viel zu heiß in den Prothesen. Da brennen die Stümpfe", sagte der beidseitig Oberschenkelamputierte, der sich während des Wettkampfes Eis bringen ließ, um die Stümpfe kühlen zu lassen. "Ich hätte nicht gedacht, dass es hier auch am Abend noch total anstrengend ist. Ich bin fix und fertig." Im ersten Sprung hatte der Berliner einen "rausgehauen" und mit 6,70 m eine persönliche Bestleistung aufgestellt. Danach konnte der 31-Jährige nicht mehr zulegen.

Markus Rehm nannte eine weitere Herausforderung für Prothesenträger: "Durch die Feuchtigkeit fangen auch die Prothesen an zu rutschen. Das ist schon ein Problem."

Profitierte Schulz sogar von den Bedingungen?

Schulz hat auf jeden Fall das Beste aus den Bedingungen gemacht - womöglich profitierte er sogar von ihnen. George Peasgood war beim Triathlon zwar als Erster aus dem Wasser gekommen und aufs Rad gestiegen. "Aber er musste im Wasser richtig Gas geben", wusste Schulz wegen der Beinbehinderung des Briten. "Ich hatte gehofft, dass ihm am Ende die Körner fehlen könnten. Dass ob der Temperaturen ohne Neoprenanzüge geschwommen wurde, spielte ihm zusätzlich in die Karten. "In Rio hatte ich am Ende mit Seitenstechen zu kämpfen. Heute wurde ich hinten raus immer besser." Mit seinem zweiten Paralympicssieg hat Schulz nicht nur die Kontrahenten besiegt, sondern auch die klimatischen Bedingungen bezwungen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Paralympics Tokio 2020 | 29.08.2021 | 09:05 Uhr

Stand: 29.08.21 07:11 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge Volksrepublik China CHN 96 60 51
2. Flagge Großbritannien GBR 41 38 45
3. Flagge USA USA 37 36 31
4. Flagge Russisches Paralympisches Komitee RPC 36 33 49
5. Flagge Niederlande NED 25 17 17
6. Flagge Ukraine UKR 24 47 27
7. Flagge Brasilien BRA 22 20 30
8. Flagge Australien AUS 21 29 30
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12. Flagge Deutschland GER 13 12 18
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