Paraschwimmer Josia Topf © imago images Foto: Camera4+

Schwimmen

Schwimmer Josia Topf fühlte sich bei Klassifizierung gedemütigt

von Florian Neuhauss und Markus Philipp

Josia Topf musste vor den Paralympics einiges durchmachen. Nach seinen Erfolgen bei der internationalen deutschen Meisterschaft stand für den 18-Jährigen eine neue Klassifizierung an - und auch eine Woche später hat er ob der Umstände noch geheult. Bundestrainerin Ute Schinkitz fordert eine tiefgreifende Reform.

"Es ist einfach ziemlich scheiße, behindert zu sein. Ich habe mich damit arrangiert, deshalb komme ich damit einigermaßen klar", sagte Josia Topf im Sportschau-Interview. "Aber wenn dann jemand kommt und behauptet, man macht nicht richtig mit oder man würde sich dumm anstellen und den ganzen Vorgang sabotieren, dann ist das für einen Behinderten nicht nur ein Schlag ins Gesicht, sondern eine immense Demütigung, die sich eigentlich nicht in Worte fassen lässt."

"Im Wasser bin ich fast normal"

Topf hat von Geburt an keine Arme, keine Knie und zwei unterschiedlich lange Beine. Kurze Strecken kann er dank eines extra angefertigten Plateauschuhes laufen, meist bewegt er sich jedoch im Rollstuhl fort.

Was auf dem Erdboden nicht nur beschwerlich klingt, ist im Wasser ganz anders. "Da bin ich fast normal. Das Wasser ist kühl, es umgibt einen, es durchdringt einen. Schwimmen gibt mir immer wieder neue Kraft. Da kann ich mich frei bewegen", beschreibt der Franke.

Und er ist ein richtig guter Schwimmer, der schon bei Welt- und Europameisterschaften zu überzeugen wusste. In der Startklasse 2 war Topf auch bei den internationalen deutschen Meisterschaften (IDM) sehr erfolgreich. Offenbar zu erfolgreich. Denn prompt wurde der Athlet aus Erlangen zu einer neuen Klassifizierung aufgefordert.

Topf prangert Umstände der Klassifizierung an

"Ich hatte von Anfang an den Eindruck, dass mir die Prüfer nicht mit einer neutralen Gesinnung gegenüber standen. So wie sie mit mir umgegangen sind, sowohl menschlich als auch so, wie man mit einem behinderten Athleten umgeht, war das überhaupt nicht rühmlich", sagt Topf. "Da wurde mir der Fuß umgedreht, mir wurden Vorwürfe gemacht, dass ich mich nicht richtig verhalten und dass ich nicht richtig mitmachen würde." Die Kommission war der Überzeugung, ihm mithilfe von Fotos auf die Schliche gekommen zu sein. "Sie meinten, bei irgendwelchen Wettkämpfen hätte ich die Bewegung doch noch gekonnt. Aber da hatte mein Trainer mein Bein auf den Startblock gelegt."

Doch alles Reden half nichts. Aus der Startklasse 2 wurde eine 3, in der Topf gegen Schwimmer mit deutlich geringeren Beeinträchtigungen schwimmen muss. Die Geschehnisse rund um die Klassifizierung hat er nur langsam verarbeitet: "Auch eine Woche nach der IDM habe ich noch Eis gegessen und geheult." Halt fand er in Telefonaten mit seinen Freunden.

Schinkitz: "Klassifizierung geht nicht mehr im Ehrenamt"

Nicht nur wegen Topf fordert Bundestrainerin Schinkitz eine tiefgreifende Reform: "Das System zur Klassifizierung ist vor langer Zeit entwickelt worden. Und es ist sehr kompliziert, weil kein Handicap gleich ist. Um dem gerecht zu werden, brauchen wir ein unabhängiges Komitee. Das geht nicht mehr im Ehrenamt."

Schinkitz erinnert sich im Sportschau-Interview noch genau daran, dass früher nicht mal medizinische Unterlagen bei der Klassifizierung vorgelegt werden mussten. Seitdem ist schon viel passiert. "Und die Leute machen im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch einen tollen Job neben ihrer Arbeit." Aber das System stoße an seine Grenzen.

Krawzow trotzt neuer Einteilung und holt Gold

Bei der Klassifizierung soll festgestellt werden, wie sehr die Athletinnen und Athleten durch ihre Behinderung eingeschränkt sind, und auch, wie groß die Beeinträchtigung beim Schwimmen ist. Doch immer wieder kommt es dazu, dass einfach trotz der Behinderung exzellente Resultate damit bestraft werden, dass fortan gegen deutlich weniger beeinträchtigte Athleten geschwommen werden muss.

Neben Topf war vor den Paralympics auch die sehbehinderte Elena Krawzow betroffen. "Sie war beim Augenarzt und hat erfahren, dass ihre Augen noch schlechter geworden sind. Sie war tief traurig", berichtet die Bundestrainerin. "Und bei der Klassifizierung wurde sie dann trotzdem in die Klasse mit den Schwimmerinnen gesteckt, die besser gucken können. Das versteht doch kein Mensch."

Schinkitz ist fasziniert davon, wie Topf und Krawzow, die über 100 m Brust in der für sie schwierigeren Startklasse trotzdem Gold gewonnen hat, mit dem Klassifizierungsärger umgegangen sind: "Sie haben sich voll auf ihre Leistung konzentriert. Das war auch mental sehr harte Arbeit. Ich bin sowas von stolz."

Neue Klassifizierung für Topf nach Paralympics?

Topf bringt trotz allem Verständnis für die Klassifizierer auf. "Für die ist es auch eine blöde Situation. Sie müssen gucken, ob die Athletinnen und Athleten das Geforderte wirklich nicht können, oder ob sie nur so tun, weil sie in eine andere Klasse möchten", beschreibt er, fordert aber zugleich Respekt ein: "Als Athlet fühlt man sich oftmals scheiße, wenn jemand kommt und sagt, du bist überhaupt nicht so behindert, wie du tust. Aber man ist ja leider so behindert. Viele Sachen hat man sich auch hart erarbeitet. Deshalb ist es auch ein persönlich und psychisch sehr harter Ablauf, weil man sich da gefühlt komplett nackt ausziehen muss."

In seinem Fall kommt es - Stand jetzt - mit ein bisschen Abstand zu den Paralympics zu einer neuen Klassifizierung. "Ich möchte ein Verfahren haben, in dem man sich meine medizinischen Unterlagen und mich genau anguckt. Wenn ich dann eine Drei bin, dann ist das so. Aber ich möchte nicht, dass an mir ein Exempel statuiert wird."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Paralympics Tokio 2020 | 02.09.2021 | 09:05 Uhr

Stand: 02.09.21 07:30 Uhr

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