Harting: "Schäme mich für Thomas Bach"
Die IOC-Entscheidung, Russland nicht komplett von den Olympischen Spielen auszuschließen, sorgt weiterhin für Diskussionen auch unter den Sportlern. Diskus-Olympiasieger Robert Harting übte harsche Kritik an IOC-Präsident Thomas Bach. "Er ist für mich Teil des Doping-Systems, nicht des Anti-Doping-Systems. Ich schäme mich für ihn", sagte Harting. Bach sprach in einer Reaktion von einer "nicht akzeptablen Entgleisung".
Interview
Ein Mann der leisen Töne war Robert Harting noch nie. Auch zur Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Russland trotz nachgewiesenen Staatsdopings nicht komplett von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro auszuschließen, hat der Diskus-Olympiasieger eine klare Meinung. Der 31-Jährige kritisierte am Dienstag (26.07.16) in Kienbaum IOC-Präsident Thomas Bach mit deutlichen Worten. "Er ist für mich Teil des Doping-Systems, nicht des Anti-Doping-Systems. Ich schäme mich für ihn", sagte Harting im Bundesleistungszentrum: "Ich habe schon oft meine Enttäuschung über Thomas Bach geäußert. Aber das ist jetzt eine neue Enttäuschungs-Dimension", betonte der Berliner. Russische Athleten trotz der eindeutigen Beweise für Staatsdoping starten zu lassen, sei "einfach peinlich".
"Habe mich schon gefragt, ob Bach noch tragbar ist"
Bach habe kurz vor Beginn der Spiele "keinerlei Interesse, den Schmerz" der sauberen Athleten "zu fühlen", so Harting. Nach der IOC-Entscheidung sei für ihn ein Stück die "Welt untergegangen. Und ich kann das eigentlich nicht verstehen." Er habe sich schon gefragt, ob Bach als IOC-Präsident "noch tragbar ist. Aber ich alleine werde da nichts verändern können." Nur eine "Allianz aus Wirtschaft, Medien und Politik" könne Bach stürzen.
Bach: "Eine nicht akzeptable Entgleisung"
Die Reaktion von IOC-Präsident Bach ließ nicht lange auf sich warten und fiel ähnlich scharf aus. "Es ist eine nicht akzeptable Entgleisung, wenn man jemanden, der nicht der eigenen Meinung ist, in derartiger Art und Weise beleidigt", sagte der 62-Jährige. "Es gibt hier unterschiedliche Meinungen. Das muss man akzeptieren, das muss man austragen. Aber es ist nicht hinnehmbar, jemanden so zu beleidigen." Konsequenzen müsse Harting allerdings nicht befürchten, so das IOC. Eine gegenteilige Implikation sei nicht aus Bachs Äußerungen zu entnehmen.
Unverständnis über Ausschluss von Stepanowa
Porträt
Der 31 Jahre alte Welt- und Europameister Harting bedauerte zudem den Ausschluss der russischen Whistleblowerin Julia Stepanowa von den Spielen. Zwar habe die 800-m-Läuferin der Leichtathletik mit ihrer Dopingvergangenheit "Schaden zugefügt. Aber der Schaden, den sie von der Leichtathletik abgewendet hat, ist viel größer." Allerdings wäre ein Start Stepanowas ein "Schlag ins Gesicht von Wladimir Putin gewesen", meinte Harting, der in einer Stiftung mithilft, Geld für die ins Ausland geflüchtete Kronzeugin zu sammeln. Russlands Präsident Putin gilt als Vertrauter Bachs. Diese Verbindung sei für einen Start Stepanowas nicht gerade hilfreich gewesen, sagte Harting.
Gold ist das Ziel in Rio
Obwohl Harting wegen eines Kreuzbandrisses die komplette Saison 2015 verpasst hat und auch in diesem Jahr wegen eines Muskelfaserrisses im Brustmuskel nicht voll trainieren konnte, setzt er sich bei den Spielen in Rio den Olympiasieg zum Ziel: "Die anderen Jungs kochen auch nur mit Wasser - hoffentlich", sagte Harting.
Reaktionen auf die IOC-Entscheidung im Überblick:
Athletenkommission im DOSB:
"Wir bewerten es als vertane Chance, dass das (...) bewiesene, staatlich initiierte, gelenkte und geschützte Dopingsystem in Russland nicht zu einem Ausschluss des russischen NOK von den Spielen in Rio geführt hat." Für die Prüfungen der Fachverbände fordert die Kommission "die Offenlegung der angewendeten Prüfkriterien sowie der Ergebnisse, die zu einem Startrecht bzw. Ausschluss geführt haben".
WADA-Chef Craig Reedie:
"Ein Ausschluss der russischen Athleten hätte eine ganz klare zukunftsorientierte Linie aufgezeigt." Der McLaren-Report habe schließlich "jenseits aller Zweifel ein staatlich gestütztes Doping-Programm in Russland dargelegt, das die Prinzipien eines sauberen Sports im Einklang mit dem WADA-Code ernsthaft untergräbt".
Richard Pound (ehemaliger WADA-Chef):
"Das IOC hatte die Chance ein Statement abzugeben. Die wurde vergeudet. Bach und das IOC haben null Toleranz gegenüber Doping, außer es geht um Russland. Es ist unwahrscheinlich, dass die Weltverbände russische Athleten ausschließen werden."
Alfons Hörmann (DOSB-Präsident):
"Damit hat das IOC nun eine zweifelsohne schwierige, harte und in mehrfacher Hinsicht konsequente Entscheidung getroffen: Der erstmalige generelle Ausschluss aller vom Staatsdoping betroffenen Athletinnen und Athleten eines nationalen Teams zeigt, dass die Nulltoleranz-Politik auch künftig weltweit gilt. Wer also systematisch gegen die Regeln verstößt, erhält die rote Karte. Im Sinne der Chancengleichheit und des Fair Play können nun aber diejenigen Sportler, die den Nachweis von Kontrollen außerhalb Russlands erbringen, noch eine Teilnahme erwirken. Das ist nurmehr gerecht."
Clemens Prokop (DLV-Präsident):
"Ich halte die Entscheidung für problematisch, hier entsteht leicht der Eindruck, dass politische Rücksichtnahmen höher gewichtet worden sind als die Frage der Glaubwürdigkeit des Sports. Faktisch ist nun die Verantwortung an die Fachverbände delegiert worden, und angesichts des McLaren-Reports ist es für mich schwierig nachzuvollziehen, wie bei einer Art des Staatsdopings zwischen involvierten und nicht involvierten Athleten glaubwürdig differenziert werden kann. Für problematisch halte ich den zwingenden Ausschluss von Sportlern, auch nach Ablauf von Doping-Sperren, selbst wenn ihnen ein Unschuldsnachweis gelingen sollte. Dies verstößt gegen die Gleichbehandlung mit Sportlern aus anderen Ländern, da zum Beispiel amerikanische Sportler nach Ablauf der Dopingsperre in Rio starten dürfen."
Nationale Anti Doping Agentur (NADA):
"Ein klares Signal für den sauberen Sport ist ausgeblieben. Die Entscheidung schwächt das Anti-Doping-System. Dies ist ein fatales Signal. Unsere Arbeit ist beschädigt, die Glaubwürdigkeit unserer Arbeit, mittel- und langfristig. Die Werte des Sports und der Olympischen Charta sind in Gefahr."
ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt:
"Das hat mit harten Sanktionen nichts zu tun. Das ist eine sehr schwachen Entscheidung des IOC. Denn sie besagt im Kern, dass man die Veantwortung nicht in die eigenen Hände genommen hat, sondern den Ball zurückgespielt hat in die Verantwortung der internationalen Fachverbände. Die Frage ist, wie es möglich sein soll, innerhalb der Kürze der Zeit die russischen Athleten zu überprüfen; ob man sich eigentlich nur Zeit erkauft hat, vielleicht auch erst nach den Olympischen Spielen aktiv zu werden."
Michael Geiger, Präsident Deutscher Tischtennis-Bund:
"Ich hätte mir eine mutigere Entscheidung gewünscht. Wenn ich als Schiedsrichter nicht bereit bin, irgendwann auch mal die Rote Karte zu zeigen, entgleitet mir das Spiel. Mich ärgert, dass man im Vorfeld postulierte, dass das IOC nicht zögern werde, die härtesten Sanktionen gegen beteiligte Personen und Organisationen zu ergreifen. Aber die Organisationen scheinen rausgelassen worden zu sein."
Siegfried Kaidel (Präsident des Deutschen Ruder-Verbandes):
"Ein anderer Weg mit dem Ausschluss wäre sicherlich das stärkere Zeichen im Kampf gegen Doping gewesen. Es wäre sicher auch das bessere Zeichen gewesen, wenn das IOC die Verantwortung übernommen und den Ball nicht an die internationalen Fachverbände weitergegeben hätte. Es bleibt angesichts der Vorwürfe von Staatsdoping auch die Frage, ob russische Athleten wirklich sauber oder eben nur nicht überführt worden sind. Ob das den Kampf gegen Doping weiterbringt, wird sich wohl erst erst in einem Jahr zeigen. Klar ist aber: Das kann es jetzt nicht gewesen sein. Es müssen Maßnahmen kommen, die auch die Kontrollen und nationalen Anti-Doping-Agenturen überprüfen."
Dagmar Freitag, Vorsitzende im Sportausschuss des Deutschen Bundestages:
"Ich halte das für keine gute Entscheidung, weil jetzt mehr unklar als klar ist. Die Verantwortung wird wieder an Dritte abgeschoben. Da ist zu befürchten, dass dort nach völlig uneinheitlichen Kriterien entschieden wird. Das kann nicht im Sinne des Sports und der Athletinnen und Athleten sein."
Thomas Weikert (Präsident des Tischtennis-Weltverbandes):
"Das IOC hat eine von mir erwartete Entscheidung getroffen. Ich hätte mir aber gewünscht, dass das IOC selbst in dieser Frage mehr Verantwortung übernommen hätte."
Moritz Fürste, zweimaliger Hockey-Olympiasieger:
"Ich hoffe, dass diese Entscheidung die Voraussetzungen erfüllt, damit die bestraft werden, die schuldig sind. Es ist ein schmaler Grat. Wenn es irgendwo schwarze Schafe gibt, ziehen diese viele Unschuldige mit in den Sumpf. Wer betrügt, hat es nicht verdient, in Rio zu starten. Aber genauso hat jeder, der sauber ist, es verdient, diese Chance zu bekommen." Er hoffe, dass die zuständigen Sportfachverbände nun die richtige Entscheidung darüber treffen, wer in Rio starten darf und wer nicht.
Chris Hoy, sechsmaliger Bahnrad-Olympiasieger:
Der Brite kritisierte, dass "das IOC seine Verantwortung für die Spiele und den Sport generell abgibt und den Verbänden den Schwarzen Peter zuschiebt. Was ist denn das für eine Botschaft? Es ist die Aufgabe des IOC, auch unbequeme Entscheidungen zu treffen und zu vertreten."
Bundesinnenministerium (BMI):
"Das BMI nimmt die Entscheidung zur Kenntnis. Im Sinne eines sauberen Sportes hätte sich die Bundesregierung eine deutlichere sportartenübergreifende Entscheidung des IOC vorstellen können."
Witali Mutko (Russischer Sportminister):
"Ich bin sicher, dass die Mehrheit der infrage kommenden russischen Sportler in Rio antreten wird. Unsere Mannschaft nimmt an den Olympischen Spielen teil. Ich hoffe, dass wir uns über Siege freuen werden. Ich bin dem IOC für die getroffene Entscheidung dankbar. Wir verstehen die Schwierigkeiten, mit denen das IOC konfrontiert wurde. Ich finde, dass diese Entscheidung im Interesse des internationalen Sports getroffen wurde. Die von der IOC-Exekutive festgelegten Kriterien sind sehr hart. Aber das ist eine Herausforderung für unsere Mannschaft. Ich kann sagen, dass die meisten diese Anforderungen erfüllen."
Ines Geipel, Vorsitzende der Doping-Opfer-Hilfe (DOH):
"Die Entscheidung, Russland nicht von den Spielen in Rio de Janeiro auszuschließen, liegt leider auf der Linie des Internationalen Olympischen Komitees. Es war klar, dass es eine diabolische Entscheidung geben würde, aber diese ist natürlich die Katastrophe. Das ist ein trauriger, ernüchternder, entsetzlicher Tag für den olympischen Sport. Wenn die wichtigste Whistleblowerin ausgeschlossen wird, sagt das viel darüber, dass das IOC den Sport nicht liebt, sondern zu einem reinen Macht- und Geldkartell verkommen ist. Es ist in hohem Grade alarmierend, welchen Kotau IOC-Chef Thomas Bach vor dem russischen Präsidenten Wladimir Putin hier macht. Das IOC hat sich selbst ins Aus gestellt."
Friedhelm Julius Beucher, Deutscher Behindertensportverband:
"Das ist ein deutlicher Rückschritt in der Dopingbekämpfung und ein trauriger Tag für den gesamten Sport. Das IOC hätte mit einer klaren Entscheidung die Chance gehabt, Fair-Play als Kerngedanken der Olympischen Spiele wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Doping ist Betrug und kann auch nicht durch einen Teilerlass behoben werden." Beucher begrüßte ausdrücklich, dass Russland weiterhin der Ausschluss von den Paralympischen Spielen droht. "Damit setzt der Paralympische Sport ein klares Zeichen und zeigt, dass im Gegensatz zum IOC die Null-Toleranz-Politik in der Dopingbekämpfung des Paralympischen Sports keine leere Worthülse ist."
Matthias Kamber, Direktor von Antidoping Schweiz:
"Russland hat mit seinem staatlich unterstützten Dopingsystem über Jahre gegen jegliche internationalen Abkommen und Verpflichtungen zur Dopingbekämpfung verstoßen. Der Entscheid des IOC ist ein großer Rückschritt für saubere Athletinnen und Athleten wie auch für Whistleblower." Diese müssten sich betrogen vorkommen.
Basketball-Superstar Dirk Nowitzki:
"Du kannst einem russischen Athleten, der immer alles sauber gemacht hat, der seit vier Jahren oder sein ganzes Leben auf diesen Moment hinarbeitet, nicht einfach seinen Traum zerstören."
Marathon-Weltrekordlerin Paula Radcliffe:
"Das ist ein sehr trauriger Tag für den sauberen Sport. Diese Entscheidung beweist, dass der saubere Athlet nicht das wichtigste Anliegen des IOC ist. Vor allem die kleineren Verbände haben doch gar nicht die Mittel, um jetzt innerhalb weniger Tage die nötigen Schritte einzuleiten."
Maximilian Hartung (Säbelfechter und Mitglied der DOSB-Athletenkommission):
"Um ehrlich zu sein, waren wir schon ein wenig enttäuscht, dass die Entscheidung an die Sportverbände weiterdelegiert wurde. Wir hoffen aber, dass es dort aufgefangen und umfassend geprüft wird. Schon von der Symbolwirkung her unterscheidet sich der Entschluss von einer Sperre des gesamten russischen Olympischen Kommitees. Ich glaube, dass bei Athleten und Fans ein mulmiges Gefühl bleibt."
Jelena Issinbajewa (zweimalige Stabhochsprung-Olympiasiegerin aus Russland):
"Ein kompletter Ausschluss der russischen Mannschaft wäre ein riesiger sportpolitischer Skandal gewesen. Das IOC hat glücklicherweise verstanden, es kann sich im Moment auch keinen Skandal erlauben."
Stand: 27.07.16 13:55 Uhr
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