Die olympische und russische Flagge im Stadion von Sotschi © picture alliance / dpa Foto: Hannibal Hanschke

Doping

IOC: Kein Komplett-Ausschluss von Russland

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) lässt für Russlands Sommer-Olympioniken trotz aller Doping-Skandale die Unschuldsvermutung gelten: Die russische Mannschaft wird nicht komplett von den Spielen in Rio de Janeiro im August ausgeschlossen. Russland begrüßte die Entscheidung.

Das IOC verzichtete auf eine Sperre aller russischen Sportler bei den Sommerspielen. Diese Entscheidung teilte der Dachverband am Sonntag (24.07.2016) in Lausanne mit. Athleten, die gegenüber ihren jeweiligen Weltverbänden den Nachweis erbringen können, nicht in das russische Staatsdopingsystem involviert gewesen zu sein, dürfen in Brasilien starten. Das gab das IOC im Anschluss an eine Telefonkonferenz des 15-köpfigen Exekutiv-Komitees unter der Leitung des deutschen Präsidenten Thomas Bach bekannt.

Somit werden nun die einzelnen internationalen Sommersportverbände darüber befinden, ob russische Athleten in den jeweiligen Sportarten antreten dürften oder nicht. Das IOC behielt sich lediglich ein Einspruchsrecht vor. Der Tennis-Weltverband ITF gab bereits am selben Tag allen sieben für Olympia qualifizierten russischen Tennisspielern grünes Licht.

Bach: "Es geht um Gerechtigkeit"

"Die Entscheidung wird sicher nicht jedem gefallen, aber es geht um Gerechtigkeit. Die Entscheidung respektiert das Recht eines jeden sauberen Athleten auf der ganzen Welt", sagte Bach: "Die Botschaft ist eindeutig. Es wird eine Gesamtverantworung angenommen angesichts der üblen Anschuldigungen, aber es soll auch eine Ermutigung für alle sauberen Athleten sein. Man kann im russischen Sport ein Vorbild sein, wenn man sauber ist."

Seppelt: "Sehr schwache Entscheidung"

"Das hat mit harten Sanktionen nichts zu tun", sagte ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt und sprach von einer "sehr schwachen Entscheidung des IOC. Denn sie besagt im Kern, dass man die Veantwortung nicht in die eigenen Hände genommen hat, sondern den Ball zurückgespielt hat in die Verantwortung der internationalen Fachverbände." Völlig offen ist derzeit, wieviele russische Athleten am Ende in Rio dabei sein werden. Seppelt: "Die Frage ist, wie es möglich sein soll, innerhalb der Kürze der Zeit die russischen Athleten zu überprüfen; ob man sich eigentlich nur Zeit erkauft hat, vielleicht auch erst nach den Olympischen Spielen aktiv zu werden."

Auch die Sportausschuss-Vorsitzende Dagmar Freitag kritisierte: "Ich halte das für keine gute Entscheidung, weil jetzt mehr unklar als klar ist. Die Verantwortung wird wieder an Dritte abgeschoben. Da ist zu befürchten, dass dort nach völlig uneinheitlichen Kriterien entschieden wird. Das kann nicht im Sinne des Sports und der Athletinnen und Athleten sein."

"Strenge Kriterien entworfen"

Das IOC reagierte mit seinem Beschluss auf die Ergebnisse des McLaren-Reports, der am vergangenen Montag (11.07.2016) enthüllt hatte, dass es in Russland "mindestens von Ende 2011 bis August 2015" ein staatlich organisiertes und überwachtes Doping-System gegeben habe. "Die IOC-Exekutive stand vor einer sehr schwierigen Entscheidung. Wir mussten die Konsequenzen aus dem McLaren-Report ziehen. Wir mussten dabei die Balance finden zwischen der Gesamtverantwortung und dem Recht des Einzelnen, um jedem Athleten gerecht zu werden", so Bach. Jeder müsse die Chance haben, auf die Anschuldigungen zu reagieren, es gelte die Unschuldsvermutung. "Deswegen haben wir strenge Kriterien entworfen, die jeder russische Sportler erfüllen muss, wenn er an den Olympischen Spielen teilnehmen will."

Russland begrüßt Entscheidung

Russland zeigte sich zufrieden. "Das ist eine rechtmäßige Lösung", sagte der Chef des Sportausschusses im russischen Parlament, Dmitri Swischtschjow: "Aber solche Entscheidungen sollten nicht nur in Bezug auf russische Athleten, sondern auf Sportler in der ganzen Welt getroffen werden. Dann wäre das Problem Doping endgültig ausgerottet." Russlands Sportminister Witali Mutko geht davon aus, dass die meisten russischen Sportler starten dürfen: "Die Kriterien sind sehr hart, aber ich bin überzeugt, dass die meisten Athleten sie erfüllen." Russland werde in enger Zusammenarbeit mit dem IOC und der WADA sein komplettes Antidopingsystem umbauen.

Kein Start von Whistleblowerin Stepanowa

Russische Sportler dürfen sich nun - mit Ausnahme von Leichtathleten - prinzipiell in allen Sportarten für einen Start bewerben, wenn auch unter strengen Auflagen. Da das IOC jedem russischen Athleten, der jemals positiv getestet wurde, keine Freigabe für Rio geben wird, darf auch Whistleblowerin Julia Stepanowa nicht starten. Weitere Hürden für Ausnahmefälle, die das IOC aufstellte, sind unter anderem: Kein Athlet oder Offizieller, der im McLaren-Report erwähnt wurde, darf in Brasilien teilnehmen. Das Nicht-Vorhandensein eines positiven Dopingtestes reicht nicht als Startberechtigung, gültig zur Entlastung sind nur internationale Tests außerhalb des russischen Systems.

Reaktionen auf den IOC-Beschluss:

  • WADA-Chef Craig Reedie:

    "Ein Ausschluss der russischen Athleten hätte eine ganz klare zukunftsorientierte Linie aufgezeigt." Der McLaren-Report habe schließlich "jenseits aller Zweifel ein staatlich gestütztes Doping-Programm in Russland dargelegt, das die Prinzipien eines sauberen Sports im Einklang mit dem WADA-Code ernsthaft untergräbt".

  • Richard Pound (ehemaliger WADA-Chef):

    "Das IOC hatte die Chance ein Statement abzugeben. Die wurde vergeudet. Bach und das IOC haben null Toleranz gegenüber Doping, außer es geht um Russland. Es ist unwahrscheinlich, dass die Weltverbände russische Athleten ausschließen werden."

  • Alfons Hörmann (DOSB-Präsident):

    "Damit hat das IOC nun eine zweifelsohne schwierige, harte und in mehrfacher Hinsicht konsequente Entscheidung getroffen: Der erstmalige generelle Ausschluss aller vom Staatsdoping betroffenen Athletinnen und Athleten eines nationalen Teams zeigt, dass die Nulltoleranz-Politik auch künftig weltweit gilt. Wer also systematisch gegen die Regeln verstößt, erhält die rote Karte. Im Sinne der Chancengleichheit und des Fair Play können nun aber diejenigen Sportler, die den Nachweis von Kontrollen außerhalb Russlands erbringen, noch eine Teilnahme erwirken. Das ist nurmehr gerecht."

  • Clemens Prokop (DLV-Präsident):

    "Ich halte die Entscheidung für problematisch, hier entsteht leicht der Eindruck, dass politische Rücksichtnahmen höher gewichtet worden sind als die Frage der Glaubwürdigkeit des Sports. Faktisch ist nun die Verantwortung an die Fachverbände delegiert worden, und angesichts des McLaren-Reports ist es für mich schwierig nachzuvollziehen, wie bei einer Art des Staatsdopings zwischen involvierten und nicht involvierten Athleten glaubwürdig differenziert werden kann. Für problematisch halte ich den zwingenden Ausschluss von Sportlern, auch nach Ablauf von Doping-Sperren, selbst wenn ihnen ein Unschuldsnachweis gelingen sollte. Dies verstößt gegen die Gleichbehandlung mit Sportlern aus anderen Ländern, da zum Beispiel amerikanische Sportler nach Ablauf der Dopingsperre in Rio starten dürfen."

  • Nationale Anti Doping Agentur (NADA):

    "Ein klares Signal für den sauberen Sport ist ausgeblieben. Die Entscheidung schwächt das Anti-Doping-System. Dies ist ein fatales Signal."

  • Michael Geiger, Präsident Deutscher Tischtennis-Bund:

    "Ich hätte mir eine mutigere Entscheidung gewünscht. Wenn ich als Schiedsrichter nicht bereit bin, irgendwann auch mal die Rote Karte zu zeigen, entgleitet mir das Spiel. Mich ärgert, dass man im Vorfeld postulierte, dass das IOC nicht zögern werde, die härtesten Sanktionen gegen beteiligte Personen und Organisationen zu ergreifen. Aber die Organisationen scheinen rausgelassen worden zu sein."

  • Siegfried Kaidel (Präsident des Deutschen Ruder-Verbandes):

    "Ein anderer Weg mit dem Ausschluss wäre sicherlich das stärkere Zeichen im Kampf gegen Doping gewesen. Es wäre sicher auch das bessere Zeichen gewesen, wenn das IOC die Verantwortung übernommen und den Ball nicht an die internationalen Fachverbände weitergegeben hätte. Es bleibt angesichts der Vorwürfe von Staatsdoping auch die Frage, ob russische Athleten wirklich sauber oder eben nur nicht überführt worden sind. Ob das den Kampf gegen Doping weiterbringt, wird sich wohl erst erst in einem Jahr zeigen. Klar ist aber: Das kann es jetzt nicht gewesen sein. Es müssen Maßnahmen kommen, die auch die Kontrollen und nationalen Anti-Doping-Agenturen überprüfen."

  • Thomas Weikert (Präsident des Tischtennis-Weltverbandes):

    "Das IOC hat eine von mir erwartete Entscheidung getroffen. Ich hätte mir aber gewünscht, dass das IOC selbst in dieser Frage mehr Verantwortung übernommen hätte."

  • Moritz Fürste, zweimaliger Hockey-Olympiasieger:

    "Ich hoffe, dass diese Entscheidung die Voraussetzungen erfüllt, damit die bestraft werden, die schuldig sind. Es ist ein schmaler Grat. Wenn es irgendwo schwarze Schafe gibt, ziehen diese viele Unschuldige mit in den Sumpf. Wer betrügt, hat es nicht verdient, in Rio zu starten. Aber genauso hat jeder, der sauber ist, es verdient, diese Chance zu bekommen." Er hoffe, dass die zuständigen Sportfachverbände nun die richtige Entscheidung darüber treffen, wer in Rio starten darf und wer nicht.

  • Chris Hoy, sechsmaliger Bahnrad-Olympiasieger:

    Der Brite kritisierte, dass "das IOC seine Verantwortung für die Spiele und den Sport generell abgibt und den Verbänden den Schwarzen Peter zuschiebt. Was ist denn das für eine Botschaft? Es ist die Aufgabe des IOC, auch unbequeme Entscheidungen zu treffen und zu vertreten."

  • Bundesinnenministerium (BMI):

    "Das BMI nimmt die Entscheidung zur Kenntnis. Im Sinne eines sauberen Sportes hätte sich die Bundesregierung eine deutlichere sportartenübergreifende Entscheidung des IOC vorstellen können."

  • Witali Mutko (Russischer Sportminister):

    "Ich bin sicher, dass die Mehrheit der infrage kommenden russischen Sportler in Rio antreten wird. Unsere Mannschaft nimmt an den Olympischen Spielen teil. Ich hoffe, dass wir uns über Siege freuen werden. Ich bin dem IOC für die getroffene Entscheidung dankbar. Wir verstehen die Schwierigkeiten, mit denen das IOC konfrontiert wurde. Ich finde, dass diese Entscheidung im Interesse des internationalen Sports getroffen wurde. Die von der IOC-Exekutive festgelegten Kriterien sind sehr hart. Aber das ist eine Herausforderung für unsere Mannschaft. Ich kann sagen, dass die meisten diese Anforderungen erfüllen."

  • Ines Geipel, Vorsitzende der Doping-Opfer-Hilfe (DOH):

    "Die Entscheidung, Russland nicht von den Spielen in Rio de Janeiro auszuschließen, liegt leider auf der Linie des Internationalen Olympischen Komitees. Es war klar, dass es eine diabolische Entscheidung geben würde, aber diese ist natürlich die Katastrophe. Das ist ein trauriger, ernüchternder, entsetzlicher Tag für den olympischen Sport. Wenn die wichtigste Whistleblowerin ausgeschlossen wird, sagt das viel darüber, dass das IOC den Sport nicht liebt, sondern zu einem reinen Macht- und Geldkartell verkommen ist. Es ist in hohem Grade alarmierend, welchen Kotau IOC-Chef Thomas Bach vor dem russischen Präsidenten Wladimir Putin hier macht. Das IOC hat sich selbst ins Aus gestellt."

  • Marathon-Weltrekordlerin Paula Radcliffe:

    "Das ist ein sehr trauriger Tag für den sauberen Sport. Diese Entscheidung beweist, dass der saubere Athlet nicht das wichtigste Anliegen des IOC ist. Vor allem die kleineren Verbände haben doch gar nicht die Mittel, um jetzt innerhalb weniger Tage die nötigen Schritte einzuleiten."

  • Maximilian Hartung (Säbelfechter und Mitglied der DOSB-Athletenkommission):

    "Um ehrlich zu sein, waren wir schon ein wenig enttäuscht, dass die Entscheidung an die Sportverbände weiterdelegiert wurde. Wir hoffen aber, dass es dort aufgefangen und umfassend geprüft wird. Schon von der Symbolwirkung her unterscheidet sich der Entschluss von einer Sperre des gesamten russischen Olympischen Kommitees. Ich glaube, dass bei Athleten und Fans ein mulmiges Gefühl bleibt."

  • Jelena Issinbajewa (zweimalige Stabhochsprung-Olympiasiegerin aus Russland):

    "Ein kompletter Ausschluss der russischen Mannschaft wäre ein riesiger sportpolitischer Skandal gewesen. Das IOC hat glücklicherweise verstanden, es kann sich im Moment auch keinen Skandal erlauben."

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Dieses Thema im Programm:

Sportschau live, 21.08.2016, 07.00 Uhr

Stand: 25.07.16 12:58 Uhr