Zwei brasilianische Fans auf der Tribüne. © DPA Picture Alliance Foto: Andrew Matthews

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Die Paralympics: Das Fest, das Olympia nicht war

von Florian Neuhauss, sportschau.de

Von null auf hundert! Die Paralympics standen schon vor dem Aus - und wurden zu einem Fest für das Volk. Das IPC hat aus dem größten Fehler gelernt, der Olympia zu schaffen machte.

Felix Streng konnte sein Glück kaum fassen. Nachdem der Paralympics-Neuling über die 100 Meter zu Bronze gesprintet war, schnappte er sich eine Deutschlandfahne und ging dann - als einziger - auf eine Ehrenrunde durchs Olympiastadion. Überall dort, wo der 21-Jährige an den Tribünen vorbeikam, brandete Jubel auf. Die Brasilianer feierten den unbekannten Deutschen frenetisch. "Die Leute haben mich noch mal angefeuert. Den Moment werde ich nie vergessen", betonte der Leverkusener strahlend. Für die Stimmung gab Streng eine "1++++".

Das Estádio Olímpico fasst 60.000 Plätze, nur der Unterrang war geöffnet, aber zumindest gut gefüllt. Und die, die an diesem Abend da waren, sorgten für eine tolle Atmosphäre. Die brasilianischen Athleten wurden noch ein bisschen mehr angefeuert, aber das Publikum würdigte jede Leistung mit Applaus. Als der Schweizer Rennrollstuhlfahrer Marcel Hug seinen Vorlauf über die 5.000 Meter gewann, hatte Ebbe Blichfeldt noch über 400 Meter vor sich. Als die Zuschauer merkten, dass der überrundete Däne noch weiterfuhr, erhob sich das ganze Stadion und klatschte, bis Blichfeldt selbst im Ziel war.

"Athleten haben die Herzen erreicht"

Brasilianische Fans jubeln auf dem Paralympics-Gelände. © Imago/Kyodo News

Brasilianische Fans feiern auf dem Paralympics-Gelände.

"Die Paralympics haben von Rio ein ganz anderes Bild geliefert. Sie waren das Fest, das Olympia sein sollte. Das IOC kann sich auf jeden Fall eine Scheibe abschneiden", fasste ARD-Korrespondent Michael Stocks zusammen. "Viele Athleten haben in ihrem Leben Schicksalsschläge hinnehmen müssen - und hier trotzdem wirklich viel Freude versprüht. Für solche Lebensgeschichten sind die Brasilianer sehr empfänglich. Die Behinderten haben ihr Herz erreicht und dafür haben die Brasilianer etwas zurückgegeben." Der tragische Tod des iranischen Radsportlers Bahman Golbarnezhad warf allerdings einen Schatten auf die fröhlichen Spiele.

Bei den Olympischen Spielen hatten die Zuschauer noch mit Buhrufen und Pfiffen gegen ihre "Gäste" für Missstimmung gesorgt. Zum negativen Gesamteindruck trugen aber auch die Athleten selbst bei, die die Unterbringung und Verpflegung im Dorf lautstartk kritisierten. Denen schrieb Sprinter und Weitspringer Heinrich Popow nach seiner Ankunft in Rio deutliche Worte ins Stammbuch: "90 Prozent der Brasilianer haben keine solchen Unterkünfte. Wir leben im Luxus und es geht uns gut. Ich finde es ziemlich respektlos, dann zu meckern."

Lob von deutschen Athleten für die Gastgeber

Der deutsche Speerwerfer Mathias Mester © dpa - Bildfunk Foto: Kay Nietfeld

Vom Publikum begeistert: Speerwerfer Mathias Mester.

Ihm stimmten andere Athleten zu. "Ich finde es super hier, die Leute sind klasse", meinte Speerwerfer Mathias Mester. Kugelstoßer Sebastian Dietz, der zu seinem Wettkampf Straßenkinder einlud, lobte: "Die Menschen geben sich unglaublich viel Mühe und ich habe das Gefühl, dass sich alle freuen, dass wir hier sind. Ihnen ist nichts anzukreiden, ich kann nur den Hut ziehen." Mit seinem Engagement stand der 31-Jährige nicht allein da. Die Goalballer brachten einer Kindertagesstätte in Rio vorab in Deutschland gesammelte Spenden vorbei. Beim ersten Spiel der Deutschen (10:0 gegen Algerien) saßen die Kinder auf der Tribüne. Mit jedem Treffer verzückten Michael Feistle und Co. die Fans mehr. Das Gefühl beim Hören des Torschreis nach der Stille zuvor beschrieb der fast blinde Feistle als "total geil".

IPC lernt aus IOC-Verhalten

All das schien wenige Tage vor den Spielen noch unmöglich zu sein. Paralympics in Rio de Janeiro: Klappt das? Es gab berechtigte Zweifel. Geld fehlte an allen Ecken und Enden - auch, weil bis dahin kaum Eintrittskarten verkauft worden waren. Sogar über eine Absage der Spiele wurde spekuliert. Erst die finanzielle Nothilfe von Stadt und Staat machte die Austragung möglich.

Das International Paralympic Committee (IPC) zeigte sich sehr zufrieden damit, dass am Abschluss-Wochenende die Grenze von zwei Millionen Besuchern geknackt worden ist. "Das ist ein großartiger Erfolg", sagte IPC-Präsident Philip Craven, der meinte, dass die Spiele in Rio eindeutig von den Menschen lebten. "Ich war noch nie so stolz auf Paralympische Spiele wie auf diese hier", sagte am Sonntag.

Als einfaches Erfolgsrezept der Paralympics stellte sich die Senkung der Preise heraus. Stocks hatte das Auftreten des International Olympic Committee (IOC), das trotz oft leerer Ränge und bescheidener Stimmung weiter seinen Weg ging, als "abgehoben und arrogant" wahrgenommen. Dazu passt, dass IOC-Präsident Thomas Bach die Paralympics erst gar nicht besuchte und sich damit den Unmut von Athleten und Offiziellen zuzog. Das IPC machte einen großen Schritt auf die Bevölkerung zu. Teilweise kosteten die Tickets umgerechnet gerade mal noch zwei Euro. "Man muss der Einkommenssituation vor Ort einfach Tribut zollen. Nur so konnten auch ganze Familien zu den Spielen kommen", erklärte Friedhelm Julius Beucher. Seine Freude verhehlte der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) nicht: "Die Ränge bei den Paralympics waren teilweise voller als bei Olympia. Das hat es noch nie gegeben!"

Dieses Thema im Programm:

Sportschau live, 19.09.2016, 10.00 Uhr

Stand: 18.09.16 20:06 Uhr

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