Frank Busemann blickt in eine Glaskugel (Montage) © picture alliance, fotolia.com Foto: Sascha Baumann, Klaus Eppele

Lauf

Busemanns Olympia-Orakel: Eine Krause-Medaille? Wäre sensationell!

Dabei sein ist für die deutschen Läuferinnen und Läufer nicht alles. Medaillen sind möglich, meint ARD-Leichtathletikexperte Frank Busemann. Gesa Krause, Konstanze Klosterhalfen und die Geher dürfen wir gespannt sein.

Männer

800 Meter

Es war so knapp. Leichtathletik ist so unerbittlich. Marc Reuther fehlten letztlich zwei Hundertstel über die doppelte Stadionrunde für Tokio. Zwei Teile einer Sekunde. Zwei! Aber leider ist Leichtathletik aus dem Grund auch so einfach - mal abgesehen von diesem komischen World-Ranking - Zahlen, Daten, Fakten, fertig. Und deshalb fehlte ein Wimpernschlag. 800 Meter also ohne deutsche Beteiligung. Zeiten sind in Tokio nicht so wichtig, da kommt es auf einen guten Spurt an und auf taktische Raffinesse. Weltmeister Donavan Brazier wird nicht in den finalen Showdown eingreifen können, der Jahresschnellste und Olympiazweite von 2012 Nijel Amos will sich nun zum Besten krönen.

1.500 Meter

Die Deutschen Meisterschaften haben echt Spaß gemacht. Robert Farken stürmte mit einem beherzten Lauf ins Ziel und vertritt mit Amos Bartelsmeyer die deutschen Farben in Tokio. Dort geht es darum, sich im Vorlauf nicht einlullen zu lassen und das abzurufen, was die Jungs drauf haben. Mit viel taktischem Gespür und etwas Glück kann man bei Turnierwettbewerben sehr weit kommen. Norwegens Wunderläufer Jakob Ingebrigtsen wird versuchen, Weltmeister Timothy Cheruiyot in Bedrängnis zu setzen, der sich ungern auf taktische Geplänkel einlässt.

5.000 Meter

Dortmund in Tokio: Mohamed Mohumed, der deutsche Meister über diese Distanz, wird immer besser, und es ist eine Frage der Zeit, bis er in einem großen Finale steht. In diesem Jahr ist es noch zu früh, aber er lernt und saugt alle Erfahrung für spätere Meisterschaften auf. Die Big Boys duellieren sich, und auch hier ist die Frage, ob sich Ingebrigtsen die Doppelbelastung 1.500/5.000 antut. Konzentriert er sich auf die kürzere Distanz oder wagt er beide Strecken? Der Zeitplan würde es hergeben, doch dieses Finale am Freitag wird dem 1.500 Meter Finale am Samstag nicht zuträglich sein.

10.000 Meter

Auch hier wird es keinen Olympiasieger namens Mo Farah geben. Nach zwei Olympiasiegen 2012 und 2016 hat er die Qualifikation nicht geschafft und laboriert an einem Ermüdungsbruch. Auch einen deutschen Teilnehmer suchen wir leider vergebens. Eine Reihe schneller Zeiten gab es in diesem Jahr schon, die meisten - wen wird es wundern? - von äthiopischen Läufern, die ihre Ausscheidung - Obacht - im holländischen Hengelo gelaufen sind, fernab der Heimat. Jahresschnellster ist dennoch der erst 20-Jährige Jacob Kiplimo aus Uganda.

Marathon

Marathonläufer Amanal Petros beim Frankfurter Halbmarathon 2020 © imago images / Jan Huebner

Amanal Petros lief im vergangenen Jahr deutschen Rekord.

Hier erfährt Olympia seine Teilung, die langen Distanzen sind ins etwas angenehmere, weil kühlere, Sapporo verlegt. Deutschland ist mit den drei Marathonis Amanal Petros, Hendrik Pfeiffer und Richard Ringer nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ stark vertreten. Petros lief erst im letzten Jahr einen deutschen Rekord, und auch die beiden anderen rennen Zeiten, die weit weg von der Norm sind und nahelegen, dass die Qualifikationserfüllung definitiv nicht der Saisonhöhepunkt war. Je nach Rennverlauf könnte sogar eine Top-10-Platzierung herauskommen. Die japanische Regierung hat darauf hingewiesen, dass aufgrund der Pandemie keine Zuschauer an der Strecke stehen sollen. Man kann jetzt drüber philosophieren, dass auch viel weniger Teilnehmer als bei den großen Citymarathons unterwegs sind und die Stimmung dadurch schon leicht fröstelich sein wird. Aber wenn man genau drüber nachdenkt: Eliud Kipchoge ist noch nie mit Trudchen Müller zusammen gelaufen.

Und wenn er sie überrunden würde, dann würde sie es nicht mitbekommen und den vorbeiziehenden Schatten als Reflexion in der Peripherie des Auges abtun. Und ein Kenenisa Bekele wird Kipchoge keinen Schatten verursachen, da er nun doch nicht olympisch startet. Die Äthiopier hatten ihre Ausscheidung auf 2.200 Meter Höhe in kühlen Gefilden ausgetragen. Über 35 Kilometer. Muss man nicht verstehen. Der berühmte Mann mit dem Hammer kommt ja erst nachher, okay, die Jungs können das, aber ein Zehnkampf-Olympiasieger wird auch nicht mit acht Disziplinen gekürt… wobei, wenn ich mir das so recht überlege… wäre manchmal nicht sooo schlecht. Lange Rede, kurzer Sinn. Kipchoge gewinnt, er ist der Johannes Vetter des Marathons.

3.000 Meter Hindernis

Karl Bebendorf hat es geschafft und er ist dabei! Er wird versuchen, in Tokio ein taktisch kluges Rennen zu laufen und möglichst in die nächste Runde zu kommen. Über die Hindernisse kann immer etwas passieren, nicht umsonst tummeln sich die Fotografen am Wassergraben in Scharen, aber im Turniermodus gibt es bummelige Runden, Tempoverschärfungen, schnelle letzte Runden, da den Überblick zu behalten ist eine Kunst. Das ist mitunter auch der Grund, dass es hier im Finale zwischen langsam und schnell alles geben kann.

20 Kilometer Gehen

Auch die Geher haben das Glück, im kühlen Sapporo zu sporteln. Erst dachte man, das sei ein bisschen doof, weil man nicht wirklich bei Olympia sei, aber aufgrund der Pandemieregeln könnte Olympia jetzt auch im Trainingswald um die Ecke sein. Da heißt es halt nicht so. Bei dieser Disziplin kommt es wie immer auf saubere Technik an, und das maximal erlaubte an Toleranz auszureizen. Vorn stellt sich die Frage: China oder Japan? Die Gehrichter sind international aufgestellt, ein lynchender Mob ist in Japan nicht vorstellbar, trotzdem wird ein in Führung liegender Japaner nicht kurz dem Ende aufgrund unsauberer Gangart disqualifiziert. War nur Spaß, das ist ein ganz gesitteter Sport in einem höflichen Land. Wir sind ja nicht in Wembley beim Fußball…

Christopher Linke © dpa-Bildfunk Foto: Michael Kappeler/dpa

Bei der WM in Doha wurde Christopher Linke Vierter.

Die deutschen Geher Nils Brembach, Leo Köpp und Christopher Linke versuchen, die 1:20er Marke zu attackieren und einen kühlen Kopf zu bewahren. Linke war eben mit genau dieser Zeit in Rio schon Fünfter und vor zwei Jahren bei der Hitzeschlacht von Doha WM-Vierter. Er weiß, wie man schnell geht und bei großen Meisterschaften besteht.

50 Kilometer Gehen

Die längste Strecke im Olympiaangebot hält die 50 Kilometer für ganz leidensfähige Zeitgenossen parat. Carl Dohmann, Jonathan Hilbert und Nathaniel Seiler sind im DLV keine Unbekannten und seit einiger Zeit die Protagonisten über diese Strecke. Hilbert liegt in der diesjährigen Weltbestenliste mit 3:43 Stunden an vierter Stelle hinter drei Japanern. Aufgrund der Schwere der Belastung sind Listen aus dem gleichen Jahr nicht unbedingt aussagekräftig, aber seine Zeit schon. Dohmann und Seiler liegen auch nur ein paar Minuten dahinter, da heißt es, in die Rhythmus kommen, mitziehen lassen, sauber gehen und über dich hinauswachsen, ohne nachlässig zu werden. Trotzdem werden noch Chinesen und andere Athleten nachdrücken, die unsere drei Athleten unter Druck setzen.

Frauen

800 Meter

Christina Hering und Katharina Trost. Wer sonst soll über 800 Meter für Deutschland auf die zwei Runden gehen? Es scheint, als haben die beiden Trainingspartnerinnen ein Kartell gebildet und das Monopol auf die Tickets. Oder sie profitieren von sich und nutzen die Rivalität des Trainings für die Härte des Wettkampfes. In diesem Jahr sind schon beide unter der magischen Zwei-Minuten-Grenze geblieben, und nicht nur das innerdeutsche Duell wird spannend. Neu am Doppelrundenhimmel strahlt der Stern von Shooting-Star Athing Mu aus den USA, die mit gerade mal 19 Jahren die heißeste Anwärterin auf Gold ist. Für Trost und Hering ist das Halbfinale das Ziel, allerdings kommt es dann auf den Lauf an, dann macht es keinen Unterschied, dass man nicht auch das Finale erreicht. Es wird unglaublich schwierig, aber es ist auch ein bisschen Glücksspiel - wenn sie ihre Leistung bringen…

1.500 Meter

Hanna Klein © imago images / Beautiful Sports

Die Formkurve von Hanna Klein zeigt steil nach oben.

Hanna Klein wird über die dreidreiviertel Runde immer schneller und die Formkurve steigt in Richtung Tokio steil an. Das muss sie auch, hat sich im Mittelstreckenbereich in Pandemiezeiten sehr viel getan. Mit Kipyegon, Hassan und Tsegay sind schon drei Athletinnen bis auf vier Sekunden an den Weltrekord herangelaufen. Trotzdem sollte man sich in Tokio auf spannende Duelle Frau gegen Frau und nicht gegen irgendwelche Zeiten freuen. Dennoch hat Hassan den WM-Titel vor zwei Jahren mit unter 3:52 Minuten gewonnen. Aber: Läuft sie die 1.500 Meter überhaupt? Bis 10.000 Meter ist sie top. Für die zweite deutsche Läuferin Caterina Granz kann es ins Halbfinale gehen, für Klein sogar ins Finale.

5.000 Meter

Über die 5.000 Meter ist keine deutsche Teilnehmerin am Start, aber Sifan Hassan ist auch dort gemeldet. Sie wird sich dann kurzfristig entscheiden, welche der drei Distanzen sie letztlich angehen wird. Alles läuft auf das 1.500 Meter/10.000 Meter-Double von Doha hinaus.

10.000 Meter

Über die längste Stadiondistanz sehen wir die WM-Dritte von Doha über die 5.000 Meter: Konstanze "Koko" Klosterhalfen. Nach einigen Verletzungssorgen ist sie wieder fit und hat das mit dem deutschen Rekord im Februar (draußen, Freiluft, drüben bei den Amis, da kann man im Winter mal die Bahn nutzen und schnell sein) eindrucksvoll untermauert. Trotzdem wird der Erfolg von Doha nicht zu wiederholen sein, da Hassan in diesem Jahr einen neuen Weltrekord erzielt hat - und dann zwei Tage später die Äthiopierin Gidey einen noch neueren Weltrekord erzielt hat. Verrückt zur Zeit, was da auf den Bahnen der Welt los ist. Na ja, war beides in Hengelo, und Gidey lief das bei den äthiopischen Trials. In Holland. Alles egal, in Tokio wird neu gemischt und da zählt nur Tokio. Nur der eine Lauf, der zwischen Legende und dem Rest entscheidet.

Marathon

Deutschland scheint Marathonland zu sein. Drei Männer, drei Frauen, das ist stark. Melat Kejeta, die letzten Oktober einen ganz starken deutschen Rekord im Halbmarathon gelaufen ist (und als Durchgangszeit gleich noch den Zehn-Kilometer-Straßenrekord mitnahm), kann es sogar unter die Top 10 schaffen. Von Vorteil bei dieser Rechnung ist natürlich, dass die Startplätze für Kenia und Äthiopien begrenzt sind. Auch Katharina Steinruck und Deborah Schöneborn haben mit Bestzeiten 2:25:59 Stunden bzw. 2:26:55 Stunden hervorragende Chancen, sich gut zu verkaufen. Und was fällt noch auf? Das Durchbrechen der Minutengrenzen zeugt von Durchhaltevermögen und dem unbedingten Kampfeswillen auf den letzten Metern. Die betreiben definitiv keine Ergebnisverwaltung, sondern wollen gut performen.

3.000 Meter Hindernis

Diese Strecke ist seit fast einem Jahrzehnt fest mit dem Namen Gesa Krause verbunden. Was haben wir nicht schon alles mit ihr erlebt und gefeiert?! Eine hochprofessionelle Athletin, die bis auf das Jahr 2020 immer geliefert hat. Und 2020 war Corona-bedingt eher ein Übergangsjahr. Was ist sie in diesem Jahr zu leisten im Stande? Die Afrikanerinnen und US-Girl Emma Coburn beobachten sie mit Argusaugen und werden sie in Schach halten müssen. Im Hindernislauf kann alles passieren, und Krause nutzt durch feine Technik jedes Hindernis, um Kräfte zu sparen. Eigentlich sind die anderen läuferisch ein bisschen besser. Aber das Spiel mit den Hindernissen ist komplexer. Wie für Krause gemacht. Holt sie wieder eine Medaille? Das wäre eine Sensation.

Nicht vergessen in dieser ganze Krause-Mania dürfen wir die deutsche Meisterin aus dem Jahr 2020, Elena Burkard, und Lea Meyer, die bei der DM in diesem Jahr ein wirklich couragiertes Rennen zeigte und sich von Krause nicht abschütteln lassen wollte. Der knallharte Selektionsmodus vom Vorlauf direkt ins Finale lässt keine Schwäche zu, und durch die klimatischen Verhältnisse werden die Bestzeiten eher rar sein.

20 Kilometer Gehen

Ganz allein auf sich gestellt wird im 20 Kilometer Gehen Saskia Feige sein. Sie wird versuchen, im Feld mitzuschwimmen und ihren Rhythmus zu finden. Vielleicht schafft sie im olympischen Sog in den Bereich ihrer Bestleistung zu kommen und das Ergebnis von Doha zu wiederholen, wo sie als drittbeste Europäerin auf einem starken elften Platz einmarschierte. Das wäre ein Riesending bei den ersten Spielen. Diese Disziplin wird wie in Doha bei der WM chinesisch bestimmt sein, dennoch versuchen die Ecuadorianerin Morejon und die Brasilianerin Rocha de Sena dazwischenzugrätschen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Olympia Tokio 2020 | 29.07.2021 | 00:50 Uhr

Stand: 29.07.21 02:21 Uhr

Das ist Frank Busemann

Geboren:
26. Februar 1975 (Recklinghausen)
Disziplinen:
Zehnkampf, Hürdensprint
Sportliche Erfolge:
Olympia-Silber 1996 (8.706 Punkte)
WM-Bronze 1997 (8.652 Punkte)
U23-Europameister 110 m Hürden 1997 (13,54 Sek.)
Juniorenweltmeister 110 m Hürden 1994 (13,47 Sek.)
Auszeichnungen:
Rudolf-Harbig-Gedächtnispreis 2004
Sportler des Jahres 1996
Karriereende:
23. Juni 2003
Karriere nach der Karriere:
Vorträge/Seminare zum Thema Motivation
Buch-Autor
ARD-Leichtathletik-Experte
(Morgenmagazin, Das Erste, sportschau.de)

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge USA USA 39 41 33
2. Flagge Volksrepublik China CHN 38 32 18
3. Flagge Japan JPN 27 14 17
4. Flagge Großbritannien GBR 22 21 22
5. Flagge Russisches Olympisches Komitee ROC 20 28 23
6. Flagge Australien AUS 17 7 22
7. Flagge Niederlande NED 10 12 14
8. Flagge Frankreich FRA 10 12 11
9. Flagge Deutschland GER 10 11 16
Stand nach 339 von 339 Entscheidungen.

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