Die Staffel aus Italien jubelt nach ihrem Goldgewinn im 4x100-m-Staffelfinale der Männer in Tokio 2020 © dpa Foto:  Michael Kappeler

Leichtathletik

Olympia: Darum ist Italien in Tokio die Sprint-Nation Nummer eins

Sowohl im Einzelfinale über 100 Meter als auch mit der 4x100-Meter-Staffel der Männer holte Italien bei den Olympischen Spielen 2021 die Goldmedaille. Die üblichen Verdächtigen wie die USA oder Jamaika hatten das Nachsehen. Was steckt hinter dem Erfolg der Südeuropäer?

Im Endlauf über 4x100 Meter übernahm der italienische Schlussläufer Filippo Tortu den Staffelstab mit fast einem Meter Rückstand auf die führenden Briten. Gold schien schon weg zu sein, für die Azzuri, so dachte man, würde es im Duell mit Kanada, China und Jamaika um die weiteren Medaillen gehen. Doch Tortu drehte mächtig auf und lief das Rennen seines Lebens. Mit einem atemberaubenden Schlussspurt setzte sich der 23-Jährige im Fotofinish gegen Nethaneel Mitchell-Blake durch. Italien siegte mit neuem italienischen Rekord in 37,50 Sekunden hauchdünn vor Großbritannien (37,51), Bronze ging an Kanada (37,70).

Tortu: "Ich habe keine Tränen mehr"

Im Ziel lief Tortu jubelnd weiter, er war gar nicht mehr zu stoppen. Als das offizielle Ergebnis verkündet wurde, hallte sein Siegesschrei durch das Olympiastadion von Tokio. Danach konnte er seine Tränen nicht zurückhalten. Wenig später hatte er sich wieder gefangen und blickte auf die Siegerehrung voraus. "Ich habe keine Tränen mehr", sagte Tortu. "Ich muss sie für morgen aufheben, weil ich sie brauchen werde, wenn die Nationalhymne gespielt wird."

Dann wird Tortu mit seinen drei Mannschaftskameraden Lorenzo Patta, Lamont Marcell Jacobs und Eseosa Desalu auf dem Treppchen ganz oben stehen. Was verdeutlicht: Bei den Olympischen Spielen 2021 ist Italien im Männersprint die Nummer eins. Die Südeuropäer erlebten eine sensationelle Woche. Am Sonntag (01.08.2021) triumphierte Jacobs über 100 Meter, nun das Staffelgold.

Klassische Sprintnationen haben das Nachsehen

Damit ist die langjährige Dominanz der klassischen Sprintnationen gebrochen. Über die 100 Meter der Männer war bei den letzten drei Olympischen Spielen (2008, 2012, 2016) der Jamaiker Usain Bolt eine Klasse für sich, davor hatten mit Justin Gatlin und Maurice Greene zwei US-Amerikaner gesiegt. Der letzte 100-Meter-Champion vom "alten Kontinent" war der Brite Linford Christie 1992.

In der Staffel war es ähnlich. Zuletzt waren die Jamaikaner unschlagbar, davor dominierten die USA, Trinidad und Tobago, die Briten und die Kanadier. Italien landete hier letztmals 1948 auf dem Treppchen, in London gab es damals Bronze.

Jacobs ist bei Olympia in Bestform

Nun sprinteten sie erstmals nach ganz oben. Doch was steckt hinter dem italienischen Erfolg? Im Einzelfinale war Jacobs in absoluter Topform. Der Vater von drei Kindern, der sich erst seit 2018 auf die 100 Meter konzentriert, war die Strecke vor diesem Jahr nie unter zehn Sekunden gelaufen. Dann steigerte er seine Bestzeit vor und während der Spiele gleich um 23 Hundertstelsekunden. Im Einzelfinale knackte er bei seinem Triumphlauf mit 9,80 Sekunden den Europarekord und sicherte sich damit Rang eins. Bei Jacobs passte in Tokio alles.

Jamaika und die USA patzen

Für einen Sieg in der Staffel müssen indes gleich vier Leute Topleistungen abrufen, die Wechsel müssen klappen - und die Konkurrenz muss mitspielen. Die Italiener erfüllten ihren Part und lieferten. Patta, Jacobs, Desalu und Tortu liefen ein tolles Rennen, gleichzeitig nutzten sie die Gunst der Stunde. Denn die vermeintlichen Top-Nationen patzten. Jamaika enttäuschte auf ganzer Linie mit Platz fünf (37,84). Die USA waren im Finale erst gar nicht vertreten, weil sie bereits im Vorlauf wegen eines dilettantischen Wechsels gescheitert waren. Und die Briten gaben kurz vor dem Ziel ihren deutlichen Vorsprung und damit Gold aus der Hand.

Der Triumph Italiens war überraschend, aber nicht sensationell. Denn schaut man sich die Bestleistungen der vier Athleten an, sieht man, dass die Staffel zur erweiterten Weltspitze gehört.

Tortu mit sensationellem Endspurt

Jacobs ist als Einzelsieger die Galionsfigur der Italiener, doch auch seine Teamkameraden hatten einen Top-Tag. Startläufer Patta (Bestzeit 10,13 Sekunden), der in Tokio nur für die Staffel im Einsatz war, fand gut ins Rennen und übergab auf Jacobs, der sofort anzog und sich an die Spitze des Feldes setzte. Desalu (10,29), als 200-Meter-Spezialist ein starker Kurvenläufer, hielt die Italiener in der Spitzengruppe und übergab mit leichtem Rückstand auf Großbritannien auf Tortu (9,99), der sich dann im Finish hauchdünn durchsetzte.

Historisch gute Ausbeute in der Leichtathletik

Der Staffelsieg ist das i-Tüpfelchen auf die bärenstarken Leistungen der Azzuri in Tokio. Neben den beiden Sprint-Medaillen gab es noch Triumphe im Hochsprung der Männer sowie zwei Goldmedaillen im 20-Kilometer-Gehen - noch nie war Italiens Leichtathletik-Ausbeute bei Olympischen Spielen so gut.

Ein rundum erfolgreicher Sommer für Italien

Dementsprechend euphorisch fiel schließlich auch das Fazit von Jacobs aus. "Das hätte ich vor meiner Abreise nie erwartet, das hätte niemand erwartet. Danke Italien", sagte der Doppel-Olympiasieger und schlug noch einmal einen ganz großen Bogen: "Wir haben die Eurovision gewonnen, wir haben die Fußball-Europameisterschaft gewonnen, wir haben fünf Goldmedaillen in der Leichtathletik gewonnen. Dies ist das Jahr Italiens, dies ist unser Jahr."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Olympia Tokio 2020 | 06.08.2021 | 01:05 Uhr

Stand: 06.08.21 19:21 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge USA USA 39 41 33
2. Flagge Volksrepublik China CHN 38 32 18
3. Flagge Japan JPN 27 14 17
4. Flagge Großbritannien GBR 22 21 22
5. Flagge Russisches Olympisches Komitee ROC 20 28 23
6. Flagge Australien AUS 17 7 22
7. Flagge Niederlande NED 10 12 14
8. Flagge Frankreich FRA 10 12 11
9. Flagge Deutschland GER 10 11 16
Stand nach 339 von 339 Entscheidungen.

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