Das Olympiastadion in Tokio © dpa-Bildfunk Foto: Michael Kappeler/dpa

Tokio

Corona, Vorfreude und Kritik: Tokio vor besonderen Spielen

von Bettina Lenner

Keine Zuschauer, strenge Corona-Regeln, kaum Akzeptanz im Gastgeberland: Olympia in Tokio hat es schwer. Viele Sportler freuen sich trotzdem drauf. Besonders werden die um ein Jahr verschobenen Spiele der 32. Olympiade ohnehin.

Die erste sportliche Höchstleistung ist bereits absolviert, da haben die Olympischen Spiele noch gar nicht begonnen. Mühsam rückt die Schlange am Tokioer Flughafen vor. Ein ebenso zäher wie unausweichlicher behördlicher Hindernislauf bei der Einreise, in dessen Verlauf der rätselhafte Papierstapel auf dem Arm in dem Maße wächst, wie das Energielevel sinkt. Wir sind erschöpft. Doch Geduld ist gefragt, alles wird penibel kontrolliert. Das Ziel: Die Bevölkerung und die Olympia-Teilnehmer, zu denen nach dem Zuschauer-Ausschluss neben Aktiven vor allem Journalisten gehören, sollen strikt getrennt werden. Von der Landung des Flugzeugs bis zum Öffnen der Hotelzimmertür können in diesen Tagen schon mal bis zu acht Stunden vergehen.

(Fast) alles hängt an der Gesundheits-App

Immerhin: Der Spuck-Test fällt negativ aus und die schon vor der Abreise mühsam installierte App für den Gesundheits-Check funktioniert. Ein Glück und auch eine Notwendigkeit, denn die dort einzugebenden Daten wie tägliches Fiebermessen und Corona-Tests sind von existenzieller Bedeutung für alle Olympia-Besucher und -Teilnehmer. Diskussionen mit den Beamten führen zu nichts. Das bekamen schon einige Athleten zu spüren.

"Es ist wie bei anderen Olympischen Spielen: Man ist hier, um erfolgreich zu sein. Alles andere muss man ausblenden." Hockeyspieler Martin Häner

Ablehnende Stimmung in der japanischen Bevölkerung

Akribie, aber auch Freundlichkeit sind die wohl wesentlichen Merkmale bei der ersten Begegnung mit unseren Gastgebern. "Welcome to Tokio", sagen die vielen fleißigen Helfer am Flughafen, und es klingt glaubhaft. Das ist vor allem deshalb eine Erwähnung wert, weil das olympische Stimmungsbarometer in der Bevölkerung des Gastgeberlandes tief gefallen ist. Die Delta-Variante breitet sich auch in Tokio rasant aus. Die Infektionszahlen in der Hauptstadt, wo der vierte Corona-Notstand bis zum 22. August gelten soll, stiegen zuletzt auf den höchsten Tagesstand seit einem halben Jahr.

Die deutliche Mehrheit der vor der Pandemie noch begeisterten Japaner ist für eine erneute Verschiebung oder gar Absage des Megaevents. Japans Ministerpräsident Yoshihide Suga und IOC-Präsident Thomas Bach lassen sich aber nicht beirren. Und so ist nach anfänglicher Euphorie nichts mehr vom olympischen Geist zu spüren in den kaum mehr quirligen Straßen der 38-Millionen-Metropole. Nur wenig weist auf das größte Sportereignis der Welt hin.

Erste Geisterspiele der olympischen Geschichte

Ohnehin ist alles anders bei diesen 32. Olympischen Spielen. Die einzigartige Atmosphäre, wenn sich die Welt versammelt, der fröhliche Einmarsch der Nationen mit Zehntausenden auf den Rängen - daraus wird am Freitag bei der Eröffnungsfeier (12.50 Uhr, im Livecenter bei sportschau.de) nichts. Die Athleten laufen diesmal in ein leeres Stadion ein, wie überhaupt fast alle Wettkämpfe bei den ersten Geisterspielen der langen olympischen Geschichte ohne Zuschauer auskommen müssen.

Sportler leben in einer Blase

Viele Sportler, die in einer Blase leben und ausschließlich zwischen dem Olympischen Dorf und ihren Wettkampfstätten pendeln dürfen, freuen sich dennoch auf die Spiele. "Ich bin extrem froh, dass Olympia stattfindet und glücklich darüber, hier zu sein. Gerade nach dem letzten, sehr anstrengenden Jahr, das vor allem sehr viel Unsicherheit gebracht hat", sagte Turnerin Elisabeth Seitz der ARD. "Auch wenn es ein bisschen anders ist, haben wir trotzdem alle hart gearbeitet, um hierherzukommen." Trotz Abstandsregeln und Maskenpflicht schwärmt die WM-Dritte 2018 von der Atmosphäre im Olympischen Dorf: "Ich habe gleich dieses Feeling gehabt, wir sind jetzt bei Olympia. Man spürt einfach, dass wir Athleten hier gemeinsam unsere Träume leben."

Auch Martin Häner lässt sich von den besonderen Umständen nicht irritieren: "Man ist hier, um erfolgreich zu sein und muss alles andere ausblenden. Natürlich hätte man lieber andere Spiele unter anderen Bedingungen. Aber wir sind froh, dass es überhaupt stattfinden kann", sagte der Hockey-Olympiasieger von 2012, der selbst Mediziner ist und sich trotz erster Corona-Fälle im Dorf gut aufgehoben fühlt: "Wir werden jeden Tag getestet über die gesamten Spiele und mehr Abstand als hier hat man sonst bei Sportereignissen nicht. Das sind sehr gute Voraussetzungen, um zumindest das Risiko so gering wie möglich zu halten."

Impfschutz bringt den Gästen keine Vorteile

Für die Kritiker, die seit Langem vor einer Ausbreitung des Virus durch die Spiele warnen, sind die Fälle im Athletendorf dagegen Wasser auf die Mühlen. Zumal ein Großteil der japanischen Bevölkerung noch nicht geimpft ist. Versuche, die olympischen Delegationen zu führen, seien ziemlich schwierig, berichtete die japanische Tageszeitung "Asahi Shimbun", einer der Sponsoren der um ein Jahr verschobenen Sommerspiele. Es habe bereits Verstöße internationaler Gäste gegeben. Prompt erinnerten die Tokio-Macher an die Einhaltung aller Regeln. "Es ist eine andere Atmosphäre mit vielen Regeln", berichtete Stefan Kuntz, Trainer der deutschen Fußballer, der den vollständigen Impfschutz besitzt. Wie 95 Prozent der rund 430 deutschen Athleten. Doch dieser bringt in Tokio ebenso keine Vorteile wie der Status als Genesener.

"Dass wir uns außerhalb der Wettkampfstätte und des Olympischen Dorfes nicht bewegen dürfen, war uns im Vorhinein klar. Wir sind für den Sport da, nicht, um uns Tokio anzuschauen." Wasserspringer Patrick Hausding

Chef de Mission Schimmelpfennig: "Wird deutlich steriler"

Keine Zuschauer, Arbeitsquarantäne, strenge Regeln - "Es werden andere Spiele, als wir sie bislang kennen. So etwas hat es noch nie gegeben und wird es hoffentlich auch nicht mehr geben", sagte der umstrittene DOSB-Präsident Alfons Hörmann. Die Spiele würden aber auch "dazu führen, dass der Sport so sehr im Vordergrund steht wie lange nicht mehr".

Deutschlands Chef de Mission Dirk Schimmelpfennig, der keine Medaillenprognose abgab, zeigte sich am Mittwoch (21.7.2021) "glücklich, dass alle Tests bislang positiv ausgefallen sind" - also negativ. Er glaubt jedoch, dass die Sommerspiele unter den Corona-Bedingungen leiden werden. "Es wird deutlich steriler und weniger stimmungsreich sein", so der DOSB-Leistungssportchef. "Die Erfahrungen, die die Beteiligten sammeln werden, werden ganz andere als bei bisherigen Spielen sein." Beachvolleyball-Olympiasiegerin Laura Ludwig verspürt indes trotz aller Unwägbarkeiten "absolut große Vorfreude. Es kribbelt, weil es jetzt losgeht."

Hausding: "Es werden besondere Spiele"

Am Flughafen streift uns am Ende des Einreise-Marathons ein freundlich lächelnder Helfer die Akkreditierung über den Kopf. Geschafft! Fühlt sich nach stundenlanger Prozedur an wie eine Goldmedaille. "Tokyo 2020", steht auf dem Band. Finde den Fehler. Wie Olympia 2020 wohl gewesen wäre? Das Flair, die Begegnungen, der Sport? Wir werden es nie erfahren. Und es spielt auch keine Rolle. Wasserspringer Patrick Hausding bringt es auf den Punkt: "Wie man die Olympischen Spiele auch nimmt, es werden besondere Spiele."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Olympia Tokio 2020 | 22.07.2021 | 09:05 Uhr

Stand: 21.07.21 12:35 Uhr