Die deutsche Weitspringerin Malaika Mihambo präsentiert ihre Goldmedaille. © dpa-Bildfunk Foto: Michael Kappeler/dpa

Die Busemann-Kolumne

Frank Busemann in Tokio: Eine Liebeserklärung an Malaika Mihambo

Malaika Mihambo ist Olympiasiegerin! ARD-Experte Frank Busemann ist beeindruckt, begeistert und fasziniert von der Weitspringerin, die in den entscheidenden Momenten Spitzenleistungen zeigt.

Beeindruckend. Atemberaubend. Hoch 2. Oder hoch 3. Faktor Malaika. Es gehen einem die Worte aus. Europameisterin ist sie. Weltmeisterin ist sie. Logische Schlussfolgerung: Der Olympiasieg muss her. Malaika Mihambo geht als Goldmedaillenfavoritin in Tokio an den Start. So wie fünf ihrer Konkurrentinnen auch. Sie hat in Doha bei der WM bewiesen, dass sie es kann. Unter größter Not setzte sie in der Wüste einen Sprung in den Sandkasten, der ihr den größten Vorsprung der WM-Historie bescherte.

Sie hat unglaubliche Nervenstärke bewiesen. Die brauchte sie auch in diesem Jahr. Es war ein schwieriges. Der Anlauf passte nie so ganz. Springen konnte sie, aber es war selten an der Weite ablesbar. Aber sie blieb entspannt und wollte trotzdem Olympiagold. So wie fünf ihrer Konkurrentinnen auch. Das war die Krux. Sechs Frauen, die sich in Tokio trafen, um die Beste der Besten zu küren. Auch wenn ich schon vorher für Malaika war, hat der Sport die nicht ganz unwichtige Angewohnheit, die Siegerin erst nach sechs Sprüngen auszuspucken.

Ein Kampf auf Biegen und Brechen

Ein Finale am Morgen ist auch nicht einfach, man darf es auch als selten bezeichnen. Kein Flutlicht, kein Abendhimmel, keine Anmutung, die Großes erahnen lässt. Der Wettkampf hieß Olympia und der Lohn war lebenslanges Titelrecht. Und dann sprangen die Frauen auf allerhöchstem Niveau.

Mal war die eine vorn, dann kam Mihambo heran, dann war die andere und dann wieder die eine vorne. Dann entschieden plötzlich zweite Versuche, selbst da ging es um Zentimeterchen. Ein Kampf auf Biegen und Brechen. Von hinten drückten die anderen, bis sich das Drama im sechsten Versuch dermaßen zugespitzt hatte, dass sechs Athletinnen innerhalb von 13 Zentimetern in die Grube eingeschlagen waren. Die Kampfrichter hätten das Loch gar nicht zuharken müssen. Das Niveau und die Wettkampfstärke aller war der pure Wahnsinn.

Immer da, wenn es darauf ankommt

Und dann der letzte Versuch: Wir alle hofften natürlich, dass Malaika  wieder den Mihambo auspackt und die Malaika macht. Was in der Theorie so einfach und im Wunschdenken problemlos klappt, ist wahnsinnig schwer. Der WM-Titel von Doha ist Vergangenheit. Der steht nur in den Geschichtsbüchern und bringt in der heutigen Wertung keinen Extrabonus.

Alles war auf null gesetzt. Die Situation irgendwie bekannt, aber doch wieder ganz neu. Und dann: Sieben Meter! Die Führung! Die anderen schaffen es nicht mehr. Sie gewinnt. Der Sieg. Gold! Wahnsinn! Ich war fertig. Wie Malaika. Die Gegnerinnen auch, aber anders. Da entscheidet sie die Konkurrenz im allerletzten Versuch! Wie macht sie das nur?

Ein mentales Monster mit dem Charme einer großen Dame

Sie glaubt an sich. Sie ruht in sich und kann sich auf das fokussieren, was gerade in dem Moment wichtig ist. Weit springen. Mehr nicht. Sie denkt nicht daran, was passieren könnte, wenn sie den Balken nicht trifft, sie denkt nicht daran, dass sie dieses Nervenspiel vielleicht schon in den fünf Versuchen vorher hätte entscheiden können. Sie denkt nicht an gestern, morgen oder letztes Jahr. Sie ist im Moment. Die Zeit steht in diesem einen Moment still. Im nächsten wieder. Diesem Moment gibt sie sich hin und besinnt sich auf das, was sie kann.

Und vertraut darauf. Mit vollster Überzeugung und ohne jegliche Ängste und Zweifel. "Ich habe ja noch eine Chance und will sie nutzen", sagt sie. Alle Zuschauer denken: "Oh je, sie hat nur noch eine Chance, hoffentlich kann sie sie nutzen." Das ist der Unterschied, weshalb Zuschauer kein Olympiasieger werden.

Diese mentale Fähigkeit bringen nur ganz, ganz, wirklich ganz wenige Athletinnen mit. Viele sind gut, echt gut, aber Malaika ist Malaika. Herself. Ein Mensch, der sich nicht über Weitsprung definiert, sondern über das Menschsein. Ein mentales Monster mit dem Charme einer großen Dame. Sie ist bei sich und immer authentisch. Das macht sie so wunderbar und lässt uns beim Anblick dieses fabelhaften Ereignisses alle strahlen. Sie hat sich diese Weihen redlich verdient und wir durften mit Stolz und Bewunderung diesem Spektakel beiwohnen. Liebe Malaika, das war ganz großer Sport. Du bist die Größte!

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Olympia Tokio 2020 | 02.08.2021 | 02:10 Uhr

Stand: 03.08.21 11:41 Uhr