Mann mit Atemschutzmaske vor Werbeplakat für die Olympischen Sommerspiele in Tokio © picture alliance Foto: Mariko Ishizuka

Corona-Krise

Koloss Olympia bewegen - ein Mammutprojekt

von Holger Gerska, NDR Hörfunk

Ein Szenario für die Verlegung von Sommerspielen zu entwerfen, ist eine ebenso komplexe wie detailreiche Aufgabe. Die wichtigsten Parameter im Überblick:

Die Logistik

Viele Sport- und Trainingsstätten in und um Tokio stehen 2021 nicht mehr zur Verfügung. Das gilt vor allem für Messe- und Mehrzweckhallen (Turnen, Ringen, Fechten, Taekwondo, Gewichtheben, Klettern, 3x3 Basketball), die für nächstes Jahr entweder schon vermietet oder abgebaut sind - so der Plan. Verträge mit Nachnutzern müssten einseitig gekündigt werden. Das gilt auch für das Medienzentrum, das zum Teil sogar schon zum Zeitraum der Paralympics nicht mehr zur Verfügung steht.

Noch schwieriger ist die Situation für die rund 18.000 neuen Mieter der Wohnungen im Olympischen Dorf. Kommen die Sportlerinnen und Sportler erst 2021, könnten die Wohnungen erst ein Jahr später bezogen werden. Ein großes Problem.

Und - was passiert mit den mehr als einer Million Hotelübernachtungen, die von Olympia-Touristen, Sponsoren und Medien für den Olympia-Zeitraum gebucht und schon bezahlt worden sind? Gestatten die Hoteliers kulante Umbuchungen? Wohl kaum, denn für 2021 rechnen sie eigentlich mit einem großen Geschäft wenn der nacholympische Tourismus boomt. Ähnliches gilt für Flug- und Ticketbuchungen. Insgesamt rechnen japanische Experten mit 5,7 Milliarden Euro Mehrkosten für eine Verschiebung der Spiele.

Die Sportler

Viele Sportler weltweit müssen ihre Vorbereitung auf Olympia privat finanzieren. Oder sie hängen am Tropf einer Förderung, die nur im Olympia-Jahr greift und jetzt schon (fast) aufgebraucht ist. Auch private Sponsoren müssten ihre Zuwendungen deutlich verlängern. Das dürfte vor dem Hintergrund der sich anbahnenden Weltwirtschaftskrise nicht leicht werden. In Deutschland sind viele Sommersportler bei der Bundeswehr oder der Bundespolizei angestellt - die meisten Verträge laufen im Herbst 2020 aus. Andere haben feste Pläne für eine Ausbildung, ein Studium oder einen Job ab Herbst 2020 und stehen auch vor einem Dilemma.

Die Qualifikationen

Bei einer Verschiebung der Spiele ins Jahr 2021 könnten wahrscheinlich die meisten Qualifikationsturniere und -wettbewerbe nachgeholt werden. Für Schwimmer und Leichtathleten gibt es ausreichend Zeit, die Normen zu schaffen. Aber es ergäben sich trotzdem Komplikationen, denn in einigen Sportarten läge die Qualifikation dann schon drei Jahre zurück. Wer danach in die Weltklasse aufsteigen würde und 2021 vielleicht sogar Nummer eins wäre, hätte keine Chance auf eine Olympia-Teilnahme.

In einigen Sportarten stehen Anfang 2021 schon wieder neue Weltmeisterschaften an. Im Handball der Männer ist laut Qualifikationskriterien der aktuelle Weltmeister bei Olympia startberechtigt. Das wäre Dänemark, der Champion von 2019. Und der im Januar 2021 gekrönte neue Weltmeister? Ersetzt er Dänemark? Oder droht sogar das Kuriosum, dass der Weltmeister 2021 nicht an Olympischen Spielen 2021 teilnehmen dürfte?

Noch merkwürdiger ist die Situation bei den Fußballern. 2019 hat sich Deutschland qualifiziert, um jetzt als U23 im Sommer zu starten. Ältere Fußballer erlaubt der Vertrag zwischen dem IOC und dem Fußballweltverband FIFA nicht. Nächstes Jahr wären alle mindestens ein Jahr zu alt. Ganz zu schweigen von den Problemen, sollte der neue Olympia-Termin mit dem Bundesliga-Alltag kollidieren.

Der Sportkalender

Im Sommer 2021 sind nach aktuellem Stand zwei Fußball-Europameisterschaften (Männer und Frauen) nebst Copa America, eine Leichtathletik-WM und eine Schwimm-WM. Dazu kommen viele Welt- und Europameisterschaften in kleineren Sportarten. Sollte der neue Tokio-Termin identisch mit den Planungen für 2020 sein, müssten auch das Tennis-Turnier in Wimbledon und die Tour de France ihre Termine anpassen.

Die olympische Charta

Tokio richtet offiziell die Spiele zur Feier der 32. Olympiade aus. Diese 32. Olympiade (also der Vierjahreszeitraum) endet am 31. Dezember 2020. Danach beginnt die 33. Olympiade. Die Spiele zur Feier der 33. Olympiade allerdings sind schon vergeben, sie steigen im Sommer 2024 in Paris. Also müsste auch der Olympischen Charta ein Ausnahme-Paragraph hinzugefügt werden. Es wäre mit Sicherheit das kleinste Problem.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Olympia Tokio 2020 | 23.07.2020 | 09:05 Uhr

Stand: 24.03.20 14:33 Uhr