Die Taekwondo-Kämpfer Zhao Shuai (r.) aus China und Tawin Hanprab aus Thailand bei einem Kampf während der Olympischen Spiele in Rio. © imago

Busemanns Kolumne

Viele Sportarten, viele Fragen

Von B wie Badminton bis W wie Wasserspringen - 306 Goldmedaillen werden in Rio vergeben. Selbst ARD-Kolumnist und Ex-Zehnkämpfer Frank Busemann droht da den Überblick zu verlieren.

Die bisherigen zwölf olympischen Tage haben mir als Sportbegeisterten und -interessierten wieder eine Menge Fragezeichen auf die Stirn gezeichnet. Was sich Usain Bolt und Andre de Grasse gestern im Zwischenlauf über 200 Meter erzählt haben, das kann ich mir denken - aber Olympia ist mehr. Als Zuschauer wohnte ich bisher ein Mal den Spielen bei, als Athlet zwei Mal und nun bin ich das vierte Mal für die ARD vor Ort. Eigentlich müsste ich den totalen Durchblick haben. Doch bei insgesamt 306 Entscheidungen in 28 Sportarten frage ich mich manchmal bis oft, was da gerade vor sich geht. Manche Sportarten finden für den Laien gefühlt nur alle vier Jahre statt. Das wird dann gern als Randsportart bezeichnet.

Beim Taekwondo zum Beispiel. Es ist das erste Mal, dass ich das bewusst sah. Die Kämpfer sehen aus wie ein Mittelding zwischen Werbetonne und GSG9-Polizist. Und dann treten die sich andauernd. Plötzlich zückte der Trainer die rote Karte. Der Trainer! Ach, Stopp, das war das Zeichen für den Videobeweis, nicht Platzverweis. Ich dachte schon jetzt ist er Gegner weg, der hatte den anderen nämlich voll getreten.

Das Ziel im Visier

Henri Junghänel jubelt. © dpa bildfunk Foto: Soeren Stachel

Hände hoch: Schütze Henri Junghänel jubelt über Gold.

Die Schützen laufen auch seltsam rum. Mit dem Gewehr auf 50 Meter haben die einen total unförmigen Umhang an. Auch hier wirkte das, als wenn sie gleich einen Röntgen-Termin haben oder eine kugelsichere Weste tragen. Brauchen sie nicht. Schützen sind meist ganz ausgeglichene Seelen, da ballert keiner um sich. Weil das alle haben, ist das wohl normal. Und dann treffen die jeden noch so kleinen Punkt in der Ferne am Horizont.

Aber richtig bekannt sind dann nur die, die ganz böse Fehler einstreuen, so wie Matthew Emmons 2004 in Athen. In Führung liegend auf die falsche Scheibe schießen kostete Gold und Anonymität.

Beeinträchtigt Pressatmung den Orientierungssinn?

Der deutsche Gewichtheber Almir Velagic © dpa Foto: Larry W. Smith

Die "schweren Jungs" haben es auch in Rio nicht leicht.

Die Gewichtheber kommen meist mit drei Betreuern zur Bühne, schnuppern an einem Fläschchen Ammoniak und werden von eben diesen Betreuern wieder abgeholt. Warum eigentlich? Schlägt Pressatmung auf den Orientierungssinn oder schnüffeln die an Drogen? Lecker ist anders. Ah, vielleicht genau deswegen. Ein wenig Wut aufgrund dieser abscheulichen Geruchszellenquälerei.

Es gibt noch unzählige Fragen, die ich mir bis heute nicht beantworten konnte. Ich könnte fragen, aber das wäre langweilig. Ich möchte die Sportarten der Spiele erleben und erkunden. Randsportart hört sich immer nach Dosenwerfen und Eierlaufen an, dabei treten in diesen Disziplinen die besten Athleten an, die manchmal mehr Herzblut mitbringen als mancher Kernsportler.

Gemeinsam in der Mensa und an der Bushaltestelle

Was ist das eigentlich, Kernsportart? Fußball? Ohne Olympia, ja. Hier? Leichtathletik? Schwimmen? Egal, die olympische Bühne gehört alle vier Jahren allen gleichermaßen. Sportler, die sich für die Olympischen Spiele qualifiziert haben, sind die Meister ihres Faches. Und genau deswegen finden die Sportler den Höhepunkt ihrer Karriere auch so gut. Weil hier alle aufeinander treffen. In der Disziplin und außerhalb der Disziplin. Weil die 1,45 Meter kleine Turnerin dem 140-Kilogramm-Gewichtheber in der Mensa den letzten Burger wegisst. Weil der zuckige Sprinter mit dem unzuckigen Schützen auf den Bus wartet und der Fußballer nicht mit Prada-Täschchen zum Training kommt. Warum haben die eigentlich zu Hause immer nur diese kleinen Kulturbeutelchen dabei? Noch so eine Frage ...

Dieses Thema im Programm:

Sportschau live, 21.08.2016, 07.00 Uhr

Stand: 18.08.16 07:20 Uhr

Das ist Frank Busemann

Geboren:
26. Februar 1975 (Recklinghausen)
Disziplinen:
Zehnkampf, Hürdensprint
Sportliche Erfolge:
Olympia-Silber 1996 (8.706 Punkte)
WM-Bronze 1997 (8.652 Punkte)
U23-Europameister 110 m Hürden 1997 (13,54 Sek.)
Juniorenweltmeister 110 m Hürden 1994 (13,47 Sek.)
Auszeichnungen:
Rudolf-Harbig-Gedächtnispreis 2004
Sportler des Jahres 1996
Karriereende:
23. Juni 2003
Karriere nach der Karriere:
Vorträge/Seminare zum Thema Motivation
Buch-Autor
ARD-Leichtathletik-Experte
(Morgenmagazin, Das Erste, sportschau.de)

Busemanns Olympia-Orakel