Busemanns Kolumne
Frank Busemann über die Kunst zu warten
Was muss ein Spitzenathlet besonders gut können? Warten, meint Frank Busemann. Und vielleicht erlebt er dann irgendwann den Moment des großen Triumphs.
Ich werde oft gefragt, welche Fähigkeiten eines Sportlers besonders ausgeprägt sein müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen. Genau genommen kann ich das aus olympischer Sicht ja gar nicht genau wissen. Gewonnen habe ich nie. Wenn wir das also in Erfahrung bringen wollen, dann müssten wir den besten der Besten fragen. Also Michael Phelps. Bei dem hängt man aber Ewigkeiten in der Warteschleife. Deshalb will ich ihn in meinem Dasein als Kreismeistertitelrekordhalter von Gelsenkirchen (63 Titel! Tja, Michael, da staunst du, was?!) kurz vertreten.
Durchhaltevermögen ist gefragt
Schweißtreibende Angelegenheit: Frank Busemann (r.) und Claus Lufen in Rio.
Es gibt zahlreiche Aspekte, die in gewissem Maße vorhanden sein müssen. Die Schilderung aller Parameter würde hier gänzlich den Rahmen sprengen, deshalb konzentrieren wir uns auf einen anderen, aber nicht minder wichtigen Punkt: Das Warten! Das Warten??? Genau, sportlich gesehen ist das ein ganz wichtiger Aspekt sportlichen Schaffens, wenn er aktiv oder passiv sowie im Rahmen der Superkompensation passiert. Also nicht das übliche Warten im Restaurant, im Stau oder beim Arzt. Das kostet nur Nerven und macht `nen platten Hintern. In Rio stehen wir überdies noch mächtig lange in der Schlange vor dem Stadion oder warten auf den Bus. Das gibt dicke Beine. Auch schlecht. Ich habe beispielsweise heute in der Mixed Zone bei Claus Lufen auf meinen Einsatz warten müssen. Nachdem ich gestern noch über sintflutartige Regengüsse schrieb, flossen wir heute anders weg. Wir warteten unter erschwerten Bedingungen. Warten 2.0. Man ist einer bestimmten Situation ausgesetzt und kann bzw. will sie nicht ändern und muss durchhalten.
Die einmalige Chance nutzen
Der Sportler muss indes Warten ohne das Gefühl davon zu haben. Fabian Hambüchen hat zum Beispiel acht Jahre auf diese Goldmedaille gewartet. Immer wieder ist er angetreten, um sich diesen Traum zu erfüllen. Dadurch, dass der Olympiazyklus so lang dauert, kann sich der Sportler nicht jeden Tag diese ultimative Befriedigung verschaffen. Er muss auf diese Gelegenheit, diese einmalige Chance warten und die Zeit nutzen. Aktiv wie passiv in Form von Training und Pause. Nun wartete er auf den Olympischen Wettkampf, bis er endlich zuschlagen durfte.
Warten 3.0, ach was, 10.0
Arthur Abele, dessen Zehnkampf heute startet, hat gefühlt sein halbes Leben gewartet. Seine Verletzungen lassen sich nicht mehr an zwei Händen abzählen, immer wieder wurde er zurückgeworfen und all sein Können wurde auf einen Schlag gefühlt auf Null gesetzt. Doch er wartete aktiv geduldig auf seine Genesung, trainierte mehr und härter als vorher, um dann endlich wieder in Form zu kommen. Das ist dann Warten 3.0, ach was, 10.0.
Es ist nicht leicht ein Sportler zu sein. Sie müssen ein Ziel haben, müssen eine Entwicklung durchschreiten, die ein jeder gern viel kürzer haben möchte, dann müssen Form, Wettkampf und Psyche in Einklang gebracht werden um zu ernten. Und dann soll die Welt still stehenbleiben. Das Ende des Wartens, soll der Anfang der Glückseligkeit werden.
Was noch zu sagen wäre
P.S. Das ist er nur ganz kurz, weil Adrenalin nicht wartet. Das wird wieder abgebaut, und dann fängt alles wieder von vorn an. Gute Sportler sind süchtig danach, hassen das Warten und können es wirklich gut.
Stand: 17.08.16 07:03 Uhr