Busemanns Kolumne
Nicht zufriedenstellend - die Leichtathletik-Bilanz
Drei Medaillen, einige positive Überraschungen, aber auch viele Enttäuschungen. ARD-Experte Frank Busemann nimmt das Abschneiden der deutschen Leichtathleten unter die Lupe. Das Ergebnis: nicht zufriedenstellend.
Es ist vollbracht, die Spiele sind Geschichte und die Medaillen sind vergeben. Einziger Lichtblick an den Wettkämpfen von Rio ist, dass die deutschen Leichtathleten keinen Ärger mit dem deutschen Zoll aufgrund der Einfuhr zu vielen Edelmetalls bekommen.
Die oft gescholtenen Sprinter konnten bei diesen Meisterschaften ihre Leistung weitestgehend abliefern. Nach anfänglichen Schwierigkeiten über 100 Meter waren von den folgenden Ergebnissen viele im Rahmen der Möglichkeiten. Die Sprintstaffeln liefen gute Zeiten, sicherlich wäre mehr drin gewesen, aber die anderen waren schneller. Gregor Traber rettete die Ehre der Hürdenläufer, dennoch verpasste er die riesige Chance, nach Florian Schwarthoff 1996 wieder eine Medaille gewinnen zu können. Ganz anders war da Cindy Roleder unterwegs. Seit dem vergangenen Jahr stellt sie sich mit großem Selbstvertrauen der Konkurrenz und liefert tolle Ergebnisse ab.
Gesa Felicitas Krause repräsentiert internationale Klasse
Die männlichen Ausdauerakrobaten bekamen durch Christopher Linke einen hervorragenden fünften Platz zu Stande. Homiyu Tesfaye wollte in diesem Jahr verletzungsbedingt nicht so viel gelingen, was in Rio leider auch seine Fortsetzung fand. Bei den Frauen waren die deutschen Gesamtergebnisse sehr oft vollkommen im Rahmen der Erwartungen, was in diesem Bereich auch als Maßstab herangezogen werden muss. Einzig Gesa Felicitas Krause ist im Stande, in einem Endlauf zu bestehen und belegte das wieder einmal mit einem Deutschen Rekord.
"Stabis" erfüllen Erwartungen nicht
Der Sprungbereich der Herren ließ Großes in Form von Max Heß erwarten, doch eine total verkorkste Quali beendete alle Träume. Allerdings darf und muss man einem so jungen Athleten ein solches Ergebnis zugestehen. Im Weitsprung der Damen hingegen zeigte Malaika Mihambo, wie wichtig internationale Erfahrung ist und sprang mit einer grandiosen Bestleistung auf Platz 4. Sosthene Moguenara kam nach ihrer Verletzung nicht rechtzeitig in Form, verkaufte sich mit dieser Vorgeschichte aber noch gut.
Die "Stabis" beider Geschlechter hatten sich die Spiele sicherlich anders vorgestellt, konnten aber nicht abrufen, was sie normalerweise zu leisten im Stande sind. Dazu kommen noch die Verletzungsprobleme unseres Besten, Raphael Holzdeppe, der erst im letzten Moment den Sprung nach Rio geschafft hat.
Werfer mit Medaillen, aber auch Enttäuschungen
Umstrittener Sieger: Diskuswerfer Christoph Harting.
Die erfolgsverwöhnten Werfer blieben fast durchweg unter Soll. Natürlich ist das Niveau einer Olympiasaison ein besonderes und das Kugelstoßergebnis ließ David Storl verwundert Revue passieren, aber trotzdem stimmten die eigenen Leistungen nicht. Bei Storl und Schwanitz waren es auch wieder Verletzungen bzw. Operationen, die sie in der Vorbereitung hemmten. Das Speerwerfen der Frauen, sonst eine Bank, war im Vorfeld schon mit großer Unruhe behaftet, weil wir uns den Luxus leisten konnten, eine Weltmeisterin zu Hause zu lassen. Hier erfüllte sich die Hoffnung auf eine weitere Medaille bei weitem nicht.
Bei Christoph Harting, Daniel Jasinski und Thomas Röhler hingegen passten Anspruch und Wirklichkeit. Röhler besitzt sogar die Frechheit, im Vorfeld seinen Olympiasieg anzukündigen - solche Typen brauchen wir. Eigentliche Überraschung hier ist Jasinski, der seine Leistungen sogar übererfüllte. Mit Harting zeigte er einen grandiosen Wettkampf mit dem Happy End für die deutsche Mannschaft.
Bei den Mehrkämpfen überzeugten die Siebenkämpferinnen mit einer tollen Moral und einem schönen Gesamtergebnis. Der fünfte Platz von Carolin Schäfer im Bestleistungsbereich zeigte ihre Stärke. Bei den Zehnkämpfern stach Kai Kazmirek mit einem wahnsinnig starken vierten Platz im besten olympischen Zehnkampf der Geschichte heraus. Mit neuer Bestleistung überdeckte er das unerwartete Abschneiden der angeschlagenen Kollegen.
Ein wenig Demut schadet nicht
Im Medaillenspiegel haben wir nach dem Desaster von Peking 2008 mit einer und dem tollen Ergebnis von London mit acht Medaillen hier lediglich dreimal Edelmetall gewinnen können. Aber dürfen wir im globalen Zirkus des Sports immer nur auf die Medaillen schielen? Nein, sicherlich nicht, wir müssen die Fähigkeiten eines jeden Einzelnen betrachten und schauen, ob der Sportler die Erwartungen, die eigenen und die in ihn gesetzten, erreicht hat. Mitunter sah man Athleten, die freudestrahlend ihr schlechtes Ergebnis verkündeten. Okay, Sport ist nicht alles, in Rio aber schon und ein bisschen Demut ist für den eigenen Ehrgeiz auch nicht verkehrt. Es geht auch anders. Bei Julia Fischer zum Beispiel sah man die ganze Enttäuschung um die verpasste Chance und sie rang um Worte - auch das ist Olympia und es ist okay. Der Blick auf die sogenannte Nationenwertung, der auch für die Durchschlagskraft einer Mannschaft zu Rate gezogen wird, schönt das deutsche Ergebnis oft. Allerdings darf man nicht vergessen, dass wir eine der größten Mannschaften an den Start bringen, und auch hier war der DLV schon besser.
Misserfolg kann auch eine Initialzündung werden
Nun wird also Ursachenforschung betrieben. Dadurch, dass der Weg bisher ein richtiger war und die Formkurve der letzten Jahre stetig nach oben zeigte, wäre es schlecht, einfach alles in Frage zu stellen. Wie es der Präsident Clemens Prokop auf Leichtathletik.de formulierte, müssen die guten Dinge beibehalten werden und in einem laufenden Übergang Verbesserungspotenziale eingebaut werden.
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass einige potentielle Medaillenkandidaten verletzt waren (Robert Harting) bzw. noch nicht wieder in Topform waren (Holzdeppe, Storl, Schwanitz, Moguenara). Von Dirk Schimmelpfennig (sportlicher Leiter der deutschen Olympiamannschaft) wurde erläutert, dass das Paket aus EM und Olympia nicht optimal war. Vielleicht ist aber auch die verspätete Anreise ein Problem gewesen und es müssen diese Erkenntnisse zukünftig beachtet werden. Galt es bisher, eine Stunde Zeitverschiebung durch einen Tag auszugleichen, reichte das hier scheinbar nicht. Aus Angst vor dem Zikavirus verzichtete man auf das obligatorische Trainingslager im Vorfeld der Meisterschaft.
Es sind nur einige Gründe, warum es dieses Mal nicht geklappt hat. Die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen. Misserfolg kann aber auch eine Initialzündung werden um Grundsätzliches zu hinterfragen. Mit mehr Förderung lassen sich durch zusätzliche Trainingslager, Kadermaßnahmen oder finanzielle Absicherungen bestimmt bessere Ergebnisse erzielen, aber auch hier stellte Präsident Prokop fest, dass das nicht nur eine Frage des Geldes sei.
Als Resümee kann der Deutsche Leichtathletik Verband trotzdem nicht zufrieden sein, da losgelöst von der Medaillenzählerei zu viele Athleten beim Saisonhöhepunkt unter ihren eigenen individuellen Möglichkeiten blieben und zu wenige aufgrund ihres Abschneidens strahlten.
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Erfolge
Die deutschen Medaillengewinner von Rio
Stand: 21.08.16 06:30 Uhr