Katrin Groshaupt auf dem Reitplatz in Tokio © ARD/Linn

Der Japan-Reiseblog von Julia Linn

Wo die teuersten Pferdeäpfel der Welt zu Boden fallen

Katrin Groshaupt ist eine von nur 110 Freiwilligen, die aus dem Ausland zu den Olympischen Spielen einreisen durften. Sie kommt ganz nah ran an die besten Reiterinnen und Reiter der Welt - und natürlich an deren Pferde.

Es ist 5.38 Uhr, der Freiwilligen-Bus fährt auf den Parkplatz des Equestrian Parks. Wir sind hier mit Katrin Groshaupt verabredet, die Stuttgarterin hilft bei den olympischen Reitwettbewerben. Heute ist sie zur Frühschicht eingeteilt. Während ich noch nicht so ganz wach bin, kommt Katrin uns schon strahlend entgegen: "Ich bin froh, hier zu sein." Nach langer Zeit voller Hochs und Tiefs und Ungewissheit, ob sie überhaupt nach Tokio kommen darf, steht sie jetzt hier. Als eine der ganz wenigen, die überhaupt aus dem Ausland kommen durften.

Schon bei der Einreise hatte es Diskussionen gegeben, erzählt sie meinen Kollegen und mir. Denn eigentlich durften internationale Freiwillige gar nicht einreisen. Weil die Reitwettbewerbe ohne diese Helfer aber wohl zum Scheitern verurteilt gewesen wären (denn Japan ist keine Reitnation, Freiwillige mit Expertenwissen sind rar), haben die Organisatoren sich etwas einfallen lassen: Katrin ist offiziell keine Freiwillige, sondern Sport-Mitwirkende. Geld bekommt sie für ihre Arbeit trotzdem nicht.

Ihre besondere Expertise: Sie selbst hatte jahrelang Pferde, ist leidenschaftliche Reiterin. Und Katrin ist ein alter Olympia-Hase: Schon in Rio 2016 und in Pyeongchang 2018 war sie dabei. 

Abäpfeln und Athleten kutschieren

Jeden Tag hat sie eine andere Aufgabe. Heute macht sie das, was im normalen Leben wohl nicht mal dem größten Reitfan Freude bereiten würde: Pferdeäpfel aufsammeln, im Fachjargon "abäpfeln" genannt.

Drei freiwillige Helferinnen bei den Olympischen Spielen stehen gemeinsam in einem Raum, alle tragen Mund-Nasen-Schutz und offizielle blaue Helfer-T-Shirts. © ARD Foto: Julia Linn

Foto: Outfit | Katrin in voller Freiwilligen-Montur. Den Hut hat sie nur für uns aus Spaß aufgesetzt - der sei "das absolut Hammergeilste".

Aber das Abäpfeln bei den Olympischen Spielen ist eben auch kein normales Abäpfeln. Katrin erzählt, dass das für viele Reiterinnen und Reiter ein Traum sei: "Beim Kacke sammeln bin ich ganz nah dran an den weltbesten Pferden, ich kann den Trainern zuhören. Und ich darf die teuersten Äpfel der Welt einsammeln." Hier am letzten Aufwärm-Ring, bevor es für die Olympia-Reiter ins Stadion geht, geben die Trainer letzte Anweisungen - nicht für fremde Ohren gedacht, aber Katrin kann lauschen.

Ihr liebster Job ist aber ein anderer: Mit einem Gefährt, das an ein etwas größeres Golf Cart erinnert, fährt sie die Reiter und ihre Teams durch die Gegend - und das macht tierisch Spaß. Um zum Equestrian Park zu kommen, geht es durch einen extrem steilen Tunnel. Die Athleten sollen sich vor ihren Wettkämpfen nicht zu sehr verausgaben.

Versteckspiel vor der japanischen Bevölkerung

Aber es ist auch nicht alles rosig für die Freiwillige. Diesen Spielen fehle die Lockerheit, die sie sonst von Olympia kennt, erzählt Katrin. Frei bewegen darf sie sich noch nicht, erst ab Ende der Woche, denn dann ist sie bereits 14 Tage im Land. Bis dahin darf sie sich nur im Hotel und an den Wettkampfstätten, an denen sie arbeitet, aufhalten. Dabei freut sie sich über jede Extra-Minute außerhalb des Hotels. Es sei zwar sehr schön, aber die Zimmerfenster könne man nicht öffnen.

Dass das Hotel schön ist, soll eigentlich keiner wissen. Sie darf nicht verraten, wo genau sie untergebracht ist, ihre Chefin hat es verboten. "Wie sagt meine Chefin? Der Steuerzahler zahlt, obwohl die Bevölkerung eigentlich dagegen ist. Wenn wir bald raus dürfen, sollen wir deshalb auch nicht unsere Uniform tragen", erzählt Katrin. Sich als Olympia-Freiwillige in der Stadt unwillkommen zu fühlen, das kennt sie so gar nicht. In Rio und Pyeongchang hätten sich die Menschen über die internationalen Helfer gefreut. Hier seien sie nicht erwünscht, "weil wir eben die Pandemie mitbringen".

Dennoch: Katrin empfindet es als großes Privileg, jetzt in Tokio sein zu dürfen. Eigentlich wären Tausende internationale Helfer hier gewesen - nun sind es Katrin und 109 andere: "Es sind historische Spiele und ich war dabei."

ARD-Reporterin Julia Linn

Zur Person: Julia Linn arbeitet für den WDR und im ARD-Studio Tokio und berichtet hier täglich von ihren Erfahrungen bei den Olympischen Spielen in Tokio.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Sportschau | Olympia Tokio 2020 | 02.08.2021 | 02:00 Uhr

Stand: 02.08.21 15:00 Uhr