Der Japan-Reiseblog von Julia Linn
Sayonara, Olympia: Erinnerungen an große Euphorie und tiefe Enttäuschung
Sechs Wochen Japan im Zeichen der Olympischen Spiele liegen hinter mir. Es sind die Menschen und ihre Olympia-Geschichten, die diese Zeit für mich geprägt haben. Ein Rückblick.
Es war ein herausfordernder Start für mich als Olympia-Reporterin: Ohne Tageslicht von der Außenwelt abgeschottet, ohne richtige Verpflegung im ockerfarbenen Quarantäne-Zimmer. Ohne Aussicht, aber zum Glück nicht aussichtslos. Wer die harte Olympia-Quarantäne zwei Wochen lang übersteht, wird belohnt: mit uneingeschränkter Bewegungsfreiheit. Es war diese Perspektive, die mich in der Isolation nicht hat durchdrehen lassen und es sind die dadurch ermöglichten Begegnungen, die diese Olympischen Spiele für mich unvergesslich machten.
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Enttäuscht und vertrieben - auch das ist Olympia
Da war Takumi Ito aus Futaba, der so viel Hoffnung in diese Spiele gesetzt hatte. Sein Zuhause wurde von Erdbeben und Tsunami vor zehn Jahren zerstört, die Reaktorkatastrophe von Fukushima machte die Stadt bis heute unbewohnbar. Die Olympischen Spiele sollten eigentlich den Aufbau seiner Heimat weiter voranbringen, zeigen, dass diese Gegend nicht verloren ist. Wegen Corona ist das leider vollkommen untergegangen. Aber Takumi Ito lässt trotzdem den Kopf nicht hängen und arbeitet Tag für Tag weiter dafür, dass er und Tausende andere ihre Heimat zurückbekommen.
Da war Kohei Jinno, der einfach alles wegen dieser Spiele verloren hat. Aus dem eigenen Zuhause vertrieben, weil dort das neue Stadion gebaut wurde - genau das war seiner Familie und ihm so auch schon 50 Jahre zuvor passiert. Das Schicksal des 87-Jährigen macht mich fassungslos. Dass er uns alle, die wegen Olympia hier sind, trotzdem mit offenen Armen empfangen hat, beeindruckt mich zutiefst.
Was vom olympischen Spirit geblieben ist
Aber dann war da auch Katrin Groshaupt, die als eine von nur 110 Freiwilligen aus dem Ausland einreisen durfte. Katrin ist für mich der Inbegriff des olympischen Spirits, nach Rio und Pyeongchang ist Tokio ihr drittes Olympia-Abenteuer. Sie empfindet es als großes Privileg, hier bei diesen, wie sie sagt, historischen Spielen mithelfen zu dürfen und die teuersten Pferdeäpfel der Welt aufzusammeln - trotz aller Widrigkeiten. Denn ihr und den anderen internationalen Freiwilligen wird immer wieder klar gemacht: Von großen Teilen der Bevölkerung seid ihr hier nicht erwünscht.
Und dann waren da noch die unzähligen Japaner, die von den Spielen im eigenen Land so wenig mitbekommen haben. Viele wollten Olympia auch gar nicht, einige protestieren bis heute, aber andere hatten große Pläne. Etwa die Oma-Cheerleaderinnen, die im Stadion ihren Helden zujubeln wollten – jetzt blieben nur Beamer, Leinwand und der eigene Traningsraum. Ihrem Olympia-Fieber hat das zum Glück keinen Abbruch getan.
Zur Person: Julia Linn arbeitet für den WDR und im ARD-Studio Tokio und berichtete täglich von ihren Erfahrungen bei den Olympischen Spielen in Tokio.
Am Sonntag endeten die Olympischen Spiele. Es waren Wochen voller Eindrücke und Begegnungen, durch die ich gelernt habe, dass Olympia so viel mehr ist als ein großes Sportevent und unendlich viele Gesichter hat - längst nicht alle sind fair. Eigentlich sind diese Olympischen Spiele der japanischen Bevölkerung nun vor allem eines schuldig: ein riesengroßes Sumimasen - Verzeihung.
Stand: 08.08.21 15:10 Uhr
Olympia-Tagebuch
Medaillenspiegel
Platz | Land | G | S | B |
---|---|---|---|---|
1. | USA | 39 | 41 | 33 |
2. | CHN | 38 | 32 | 18 |
3. | JPN | 27 | 14 | 17 |
4. | GBR | 22 | 21 | 22 |
5. | ROC | 20 | 28 | 23 |
6. | AUS | 17 | 7 | 22 |
7. | NED | 10 | 12 | 14 |
8. | FRA | 10 | 12 | 11 |
9. | GER | 10 | 11 | 16 |
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